persoenlicher
bericht
X
1984
januar, besuch von frank-patrick steckel, der in der hamburger
kampnagel-fabrik den 'Empedokles' inszenieren wird (premiere
im mai) und um den neuen, noch nicht erschienenen text bittet;
juni, waehrend eines besuchs bei monique und françois
fédier erstes zusammentreffen mit jean-marie straub und
danièle huillet, die schon im april wegen des projektierten
'Empedokles'-films geschrieben hatten; september, sitzung des
'beirats fuer die frankfurter hoelderlin-ausgabe' in bremen;
dr. briegel teilt mit, dasz die dfg auch die edition der
briefe foerdern werde, 'wenn es gute argumente dafuer gaebe';
die positive empfehlung des beirats scheitert jedoch am veto
von wilfried barner, nachfolger friedrich beiszners auf dem lehrstuhl
in tuebingen, und hans-albrecht koch, mitarbeiter der hofmannsthal-ausgabe,
jetzt direktor der universitaetsbibliothek bremen; umgang mit
alfred sohn-rethel, jetzt verheiratet mit bettina wassmann; bei
ihr erscheint die als voruebung zur edition der uebersetzungen
hoelderlins entstandene uebertragung 'sophokles / oedipus auf
kolonos', hersteller: brinkmann & bose, umschlag: walter
stoehrer, berlin; zur buchmesse liegen band 4/5 'oden' vor;
die erste einleitung zu diesem doppelband wird unter dem titel
'leonoren 1' in 'le pauvre holterling 7' gedruckt;
gegen schlusz die hochgemuten saetze: 'das editorisch notwendige
ist das didaktisch zweckmaeszige. wenn die warensprache (jene,
die selbst zur ware wurde: die kaeufliche) all jene verfinstert
und verfuehrt, die sich ihr aussetzen, musz jene andere, hoelderlins
entstehender gesang, das gegenteil bewirken: kommt der gesang
zu sich, so auch der leser. darum, und weil sie dem dogmatischen
begriff widerstreitet, gehoert auch die form der lektuere zur
'Aufklärung', die nach hoelderlins definition im 'fragment
philosophischer briefe' eine 'höhere' sein musz.'; 27./28. oktober,
in 'die presse', wien, erscheint 'hoelderlins
gegenwart / fuenfzehn kontradiktorische thesen': '1 / wenn
hoelderlins hinterlassenschaft, anders etwa als das gefeierte
werk schillers und goethes, den zeitgenossen und ihren nachkommen
stumm blieb, wenn dieses werk jetzt erst die zeit angehn, wenn
seine saat aufgehn soll, wo sie am noetigsten gebraucht wird,
im ruin der zerrissenen nation, deren sprache sich in ihm erst
vollendete, musz sich diese erste wirkende, gegenwaertige aufnahme
von all den frueheren rezeptionsformen unterscheiden. hat dieses
werk zeitveraendernde qualitaet, darf auch die rede von ihm keine
konzessionen an das gegenwaertig herrschende, an zeitgewohntes
machen: deswegen kontradiktorische thesen. / 2 / von keinem anderen
juengeren werk laeszt sich sagen, es sei philosophisch, poetisch
und prophetisch zugleich. philosophisch, weil es aus persoenlicher
erfahrung allgemeingueltige konsequenzen zieht, poetisch, weil
es jene entgegengesetzten denkformen verbindet, und prophetisch,
weil der wahrheitsgehalt seiner zeichen erst in der geschichte
nach ihm an den tag kommt.
11 / dieses am mittelmasz und
darunter orientierte deutschland hat die gedanken seiner besten
wie schutt beiseite geschoben; kants jetzt erst aktuellen entwurf
'zum ewigen frieden' zum beispiel, die darin enthaltene unterscheidung
zwischen republikanischer und demokratischer verfassung, seine
scharfsinnige analyse der demokratie als sonderform der despotischen
unrechtsherrschaft zugunsten eines gedanken- und bedenkenlosen
pragmatismus ins kollektiv unbewuszte verbannt. jener pragmatismus
duldet den geist nur als nippes in den eigens dafuer eingerichteten
kulturellen nischen. dasz er von seinen voraussetzungen zehrt,
dasz er immer nur bis zur voelligen auszehrung seiner grundlagen
recht behaelt, ist ihm gleichgueltig, solange der fall noch nicht
eintritt. seine devise ist dieselbe geblieben: nach uns die sintflut!
die stupide wendung, mit der sein anhang vom jeweils vorgegebenen
ausgeht, ohne es je zu verlassen, entlarvt seine aktivitaeten
als ausgelieferte reaktion. was unlaengst ein verblendeter herbeifuehren
konnte, ist diesmal ungewollt in die wege geleitet. jetzt fuehren
blinde die lahmen in die grube. / 12 / nicht ohne grund waehlte
hoelderlin das beispiel des 'Kolomb'. erst sein aufbruch, sein
wagnis, widerlegt das alte, zweifelhaft gewordene, doch immer
noch herrschende weltbild. erst wenn die bis dahin fuer irreal
gehaltene 'Neue Welt' am horizont erscheint, werden die bis dahin
realistisch scheinenden behauptungen falsch, wird das bewusztsein,
das sie mit wissenschaftlicher sicherheit vortrug, irreal. seine
ueberfahrt ist, wie der auszug der isrealiten in die wueste,
das modell einer notwendigen, rettenden veraenderung. nur so
ist die mechanik der zeitwende zu zeigen und begreiflich zu machen.
im murren der mannschaft und auf die altkluge skepsis des schiffers
antwortet der 'Seeheld beiseit': 'Hypostasierung des vorigen
orbis / Naivität der Wissenschaft.' / 13 / kein wunder,
dasz die wissenschaftlichen vereinnahmungsversuche an sich selbst
und am gesang scheitern. sein frohlocken ueber das in zeichen
sichtbare wirken des geistes, sein dankbares unterscheiden des
als einig angeschauten seins, seine beispiellos radikale kritik
am wahnhaft falschen entgeht im voraus jenem furchtbaren irrtum,
dem, in der gestalt des wissens, die welt zur schaedelstaette,
zum objekt ruecksichtslosester ausbeutung, zum gegenstand angedrohter
vernichtung geworden ist. / 14 / seit die aufklaerung sich selbst
zum dogma wurde, sind die universitaeten ort des obskuren
';
dezember, spreche und kommentiere in zuerich, vor der 'schweizerischen
gesellschaft fuer daseinsanalyse', erstmals 'In lieblicher Bläue
'