persoenlicher
bericht
VI
1977
januar, in einer auflage von 1000 exemplaren erscheinen die 'thesen
zur staatenlosigkeit'; zuvor schriftlich, im parteibureau kassel
auch muendlich begruendeter austritt aus der dkp; 7. februar,
stephan hermlin schreibt aus berlin-niederschoenhausen: 'seit
etwa zwei wochen stehe ich ganz unter dem eindruck des 6. bandes
Ihrer hoelderlin-ausgabe, der mich schlieszlich erreichte. Sie
haben da, zusammen mit wolfram groddeck, etwas ganz wunderbares
gemacht - es gehoert zum wichtigsten, kuehnsten, notwendigsten
auf der deutschen kulturszene nach dem kriege. haben Sie dank
';
maerz, korrespondenz mit michael hamburger; april, die heinrich-heine-stiftung,
freiburg, foerdert die editionsarbeit durch ein zinsloses darlehen
fuer den verlag sowie monatliche zuschuesse fuer den herausgeber
und wolfram groddeck; august, abschlusz von band 3 'jambische
und hexametrische formen'; in 'le pauvre holterling 2' erscheint
'frankfurter hoelderlin-ausgabe / ein vorlaeufiger editionsbericht',
in welchem ich den lektorierenden wolfram groddeck als mitautor
nenne; september, erster antrag bei der deutschen forschungsgemeinschaft
durch professor dr. gisbert lepper, frankfurt am main; der
ressortleiter, dr. manfred briegel, signalisiert, dasz aussichten
auf foerderung nur bei einer realen universitaeren einbindung
des projekts bestuenden, und raet spaeter, in diesem fall den
dfg-antrag selbst zu stellen; oktober, im verlagsalmanach der
satz: 'laszt uns alle dem satan danken und gluecklich sein ueber
das wohlwollen, das er uns erwiesen hat'; unabweisbar die einsicht:
'sie hassen insgeheim, was du liebst; sie stoeren und zerstoeren
im entstehen, was du mit liebe tust'; 11. november (nach
der drohung der raf, zivilmaschinen abzuschieszen), an den verlag:
'liebe freunde, / ich habe meine zweifel, meine empoerung lange
genug mit mir herumgetragen, habe nie nachgefragt und bin so
einer entscheidung aus dem wege gegangen. aber die drohung gilt
nun allen, den tag neuer morde kann ich nicht mehr abwarten.
wie sehr mich die boesen, verzweifelten scherze in Eurem letzten
almanach abgestoszen haben, wiszt Ihr vielleicht. wie furchtbar
die einseitigen zweideutigkeiten, mit denen die halbhumanen,
halbbarbarischen masznahmen des staates gegen vollends barbarisches
bespoettelt und verurteilt wurden, zu Euren ungunsten in der
waagschale liegen, wie schwerer die mit jeder untat wird, mueszt
Ihr abschaetzen koennen. nicht dem staat musz man sich augenblicklich
entgegenstellen, sondern der raserei, die alles, was uns heilig
ist, in den staub tritt. 'Es ist aus, Diotima! unsre Leute haben
geplündert, gemordet, ohne Unterschied, auch unsre Brüder
sind erschlagen, die Griechen in Misistra, die Unschuldigen,
oder irren sie hülflos herum und ihre todte Jammermiene
ruft Himmel und Erde zur Rache gegen die Barbaren, an deren Spize
ich war. / Nun kann ich hingehn und von meiner guten Sache predigen.
O nun fliegen alle Herzen mir zu! / Aber ich habs auch klug gemacht.
Ich habe meine Leute gekannt. In der That! es war ein außerordentlich
Project, durch eine Räuberbande mein Elysium zu pflanzen.'
glaubt Ihr, das unmenschliche, das jeder fuehlt, in schutz nehmen
zu muessen, nicht verurteilen zu duerfen, nur weil dies die argumente
des staates sind. musz parteinahme das gewissen blind machen?
Ihr koennt es miszdeuten wie Ihr wollt. wenn das die taten sind,
die das wort ersetzen, dann musz ich Euch zum wort fordern und
meine tat auf dem fusz folgen lassen. wo menschen sich in ihrem
blut waelzen muessen, kann es keine ausfluechte, keine halbheiten
geben. von Euch erwarte ich ein ja oder ein nein. ja, wir verurteilen
das feige, unmenschliche und irrwitzige morden. nein, wir verurteilen
es nicht. Ihr koennt mich so zynisch miszdeuten, wie Ihr wollt.
michel gab mir gestern eine erste probe, als er sagte: 'wenn
es dir nuetzt.' / ich schicke Euch den brief, den ich mit Euren
unterschriften allen subskribenten, allen, deren unterschrift
eine klaerung bedeutet, schicken moechte. unser ziel, das menschlichere,
die revolution der gesinnungen und vorstellungsarten, koennen
wir nicht verfolgen, wenn wir uns auf diese weise, durch unser
stillschweigen, von fanatischer unmenschlichkeit kompromittieren
lassen. an dem text selbst kann bis zu einem bestimmten punkte
gearbeitet werden. aber das musz bald sein. noch ehe die drohung
das naechste mal wahr wird, musz ich Eures oeffentlichen einverstaendnisses
sicher sein. danach und ohne diesen gemeinsamen aufschrei der
empoerung, sind wir geschiedenen leute. ich bin oft genug zu
Euch gefahren. jetzt erwarte ich Euch dringend, um unser verhaeltnis
endlich ins reine zu bringen. / falls Euch mein ansinnen unzumutbar
erscheint, werde ich die ausgabe nicht einem neuen verlag uebergeben,
sondern masznahmen zur sicheren und praezisen abwicklung ueber
einen herausgeber-verlag ergreifen, an welchem alle beteiligten
beteiligt sind. das wort 'eremitage' wird dann an stelle von
'verlag roter stern' stehen. ob Ihr in einem solchen fall die
subskribenten-adressen herausgeben wollt, koennt Ihre Euch ueberlegen.
Euer erstes verdienst bleibt unbestritten. aber ich fange auch
gern noch einmal von vorn an. als ich Euch kennenlernte, als
ich Euch liebte, hatte ich meine lebensumstaende laengst auf
meinen plan hin eingerichtet. mein feuer ist noch laengst nicht
erloschen. / herzlich / natan' / BRIEF / wir sehen in Euren drohungen
und Eurem tun keinen sinn. ihr raecht an anderen Eure eigenen
fehler. Eure wut gilt nur noch der ausweglosen lage, in die Ihr
Euch selbst gebracht habt. was Ihr jetzt noch ausrichtet, dient
fremden interessen, die um nichts besser sind als diejenigen,
die Ihr so unmenschlich, so gemein und so grausam bekaempft.
Ihr toetet aus verletztem duenkel; denn die Ihr meinen mueszt,
folgen Euch nicht, und Ihr toetet als freiwillige soeldner. das
korrumpiert Euch doppelt. das volk, fuer dessen recht Ihr Euch
so maszlos einsetzt, ist Euch gerade noch gut genug als totenopfer
Eurer verzweiflung. aber, was schlimmer ist, Ihr vergiftet sein
herz mit neuem hasz. wir sehen, Ihr habt keinen ausweg, als immerfort
weiter zu toeten. wenn Ihr noch menschen seid, sucht einen andren.
das feige, das sich zuletzt immer an den unschuldigen auswuetet,
das morden musz aufhoeren. Ihr gehoert nur zum fuerchterlichen,
schwarzen hintergrund des tages. das neue kommt ohne Euch.';
die durchlaufenden posten auf dem konto marketingberatung erlauben
mir ende november, einen verlagswechsel ueber dm 15000 'querzuschreiben';
1. dezember, bei klirrendem frost zu klaus michael gruebers
'Hyperion'-inszenierung 'winterreise' im olympiastadion berlin;
8. und 9. dezember, gutachterkolloquium zur integration
der hoelderlin-ausgabe in den forschungsschwerpunkt 'die deutsche
literatur der spaetaufklaerung unter dem einflusz der franzoesischen
revolution' der noch nicht zum kreis der forschungsuniversitaeten
zaehlenden universitaet bremen; unter den gutachtern auch hans
zeller, fribourg; ende dezember, reise zum kongresz der modern
language association in chicago; dem gleichfalls eingeladenen
kd wolff wurde das visum verweigert; direkt vor mir sitzt
der mir noch unbekannte emery george, dessen fruehe detailkritik
an der stuttgarter hoelderlin-ausgabe ich einleitend gewuerdigt
hatte; er steht nach dem vortrag auf und wendet sich zurueck
zum publikum: 'ich bin emery george.'; wir verabreden zusammenarbeit
bei der edition der 'gesaenge'