persoenlicher
bericht
III
zunaechst unter diesem titel die ab oktober unternommenen versuche,
diese entdeckung und eine generelle kritik am selektiven text
der stuttgarter ausgabe im jahrbuch der hoelderlin-gesellschaft
zu veroeffentlichen; der schriftwechsel mit dessen herausgebern
bernhard boeschenstein und alfred kelletat ist im dossier 'frankfurter
hoelderlin-ausgabe 1972-1975' in 'text : kritische beitraege',
stroemfeld verlag, heft 1-3, nachzulesen; unter dem schock des
genres 'sekundaerliteratur' und als entgegnung auf seine 1970
gehaltene gedenkrede 'hoelderlin zu entsprechen' erhaelt martin
walser die diatribe 'prokrustes', von der ich leider kein duplikat
zurueckbehielt; auf dem umschlag das im septembernebel aufgenommene
spiegelbild des hoelderlinturms im neckar
1973
anfang des jahres umzug in die julienstrasze nahe der kasseler
aue; vereinbarung mit peter glienicke, in der halbierten dienstzeit
fuer ein dreiviertel des gehalts das ganze der bisherigen dienstgeschaefte
zu uebernehmen; im februar beginn des briefwechsels mit dem conrad-ferdinand-meyer-herausgeber
hans zeller; maerz, entstehung des aus 30 miniaturessays
bestehenden 'clavis hoelderliniana' und eintritt in die hoelderlin-gesellschaft,
auf empfehlung des bei wolfgang binder studierenden albrecht
eckle, mit dem ich gleichfalls korrespondiere; studium von herders
'adrastea', einem der bezugspunkte hoelderlins ab 1802; im zuge
einer systematischen vorbereitung einer neuedition des homburger
foliohefts erhaelt hans zeller die schluszpassage von 'Das Nächste
Beste' in typographisch differenzierter umschrift; ab juli freiberufliche
taetigkeit unter 'd. e. sattler, marketingberatung'; der volkswagen-groszhaendler
uebergibt mir die anzeigenverwaltung des werbeetats, gleichzeitig
neugestaltung der produktpalette der kurhessischen molkereizentrale
1974
januar, definitive ablehnung des wiederholt neugefaszten und
geaenderten beitrags zum hoelderlin-jahrbuch; swedenborg- und
jakob boehme-lektuere; im juni teilnahme an der tagung der hoelderlin-gesellschaft
in winterthur; zuvor entstehen die siebdrucke 'verlorne liebe
wissenschaft' (hoelderlin mit fliegen auf der stirn, vor hegel-bueste
auf buechergebirge) und 'ich will kein jacobiner seyn, vive le
roi!' (der alte hoelderlin und karl marx; froesche unter der
ihm aufgesetzten jakobinermuetze); beginn des briefwechsels mit
holle ganzer, die in berlin ueber die ode 'Chiron' und hoelderlins
verhaeltnis zu schelling arbeitet; september, als affiche fuer
den von rolf grix vermittelten volkshochschulkurs 'friedrich
hoelderlin - die franzoesische revolution und der idealismus
in deutschland' dient die verkleinerung des blau unterlegten
siebdrucks 'verlorne liebe wissenschaft' (ezra pound, canto LI
33.34: 'blue dun; number 2 in most rivers / for dark days, when
it is cold'); 21. september, karl dietrich wolff, verlag
roter stern, frankfurt am main: 'bei einem besuch in kassel sah
ich kuerzlich zufaellig eine ankuendigung Ihres hoelderlin-kurses.
/ anbei schicke ich Ihnen unser eben erschienenes 'raeuberbuch';
antwort am 12. oktober: 'vielleicht interessiert es Sie,
dasz meine studien auf eigene faust unternommen wurden. ich besitze
keine schulischen, erst recht keine akademischen qualifikationen.
dafuer kann ich den nachweis fuehren, dasz die geruehmte stuttgarter
hoelderlin-ausgabe, vor allem band 2, fehlerhafte, falsch
kompilierte und unvollstaendige texte bietet. bei einer nochmaligen
lesung der handschriften stellte sich heraus, dasz friedrich
beiszner die texte sozusagen apologetisch entzifferte. statt
'verlorne Liebe
Wissenschaft' heiszt es dann beispielsweise
'Wissenschaft, Elysium'. vor allem enthalten die manuskripte,
was die exegeten noch schamrot machen wird, vergessene und eine
grosze anzahl falsch gelesener texte. notwendig ist, als basis
ueberpruefbarer lesetexte, die herstellung eines abbildlichen
textdrucks der spaeten entwuerfe; dafuer boete sich das konvolut
'homburger folioheft' an. wie Sie sich denken koennen, vertuscht
die hoelderlin-philologie die offenbaren maengel. wer ist schon
bereit, lessings forderung aus den 'rettungen des horaz' zu ohren
zu nehmen 'ich will nur sagen, dasz es sehr gut seyn wuerde,
wenn auch noch lebende gelehrte immer im voraus ein wenig todt
zu seyn lernen wollten'? so viel, oder besser, so wenig zur 'rolle
der literaturwissenschaft' im falle hoelderlins. / statt Ihnen
das buch zu bezahlen, was mir ehlich gesagt im moment ein wenig
schwer faellt, sende ich Ihnen zwei siebdrucke. der eine wendet
sich gegen jedwede einseitige ideologisierung (wofuer man statt
des weissschen beispiels auch eines aus faschistoidem oder eigentümelndem
bereich haette waehlen koennen; der andere gegen die parasitaere
ausbeutung des einmal gemachten und gedachten durch philologen,
durch die wissenschaft'; 18. oktober, kd wolff: 'erstaunt
es Sie, wenn wir an einem angriff auf die offiziellen hoelderlin-lesarten
interessiert sind? Sie schreiben, das konvolut 'homburger folioheft'
boete sich fuer eine facsimilierung an. koennten, wollten Sie
es herausgeben?'; 21. oktober: 'mit der bloszen faksimilierung
des konvoluts allein waere es noch nicht getan; selbst bei den
spezialisierten hoelderlin-interpreten darf man nur selten die
bereitschaft zum quellenstudium voraussetzen; darum mueszte man
eine 'diplomatische umschrift' hinzufuegen. deren satz waere
jedoch so kompliziert und teuer, dasz ich ihn zweckmaeszigerweise
selbst auf einem composer oder diatyper ausfuehren mueszte. erst
mit einer solchen paralleledition wuerde dem elaborierten text
der bisherigen ausgaben die basis entzogen
aus meiner
sicht erscheint es wichtig, dasz die edition, sobald sich eine
amortisation der herstellungkosten abzeichnet, systematisch um
weitere konvolute und handschriftenkomplexe erweitert wird. so
enthaelt das 'stuttgarter foliobuch' den groeszten teil der theorieentwuerfe
hoelderlins, deren bedeutung fuer die neuere dialektikkonzeption
noch wahrzunehmen ist. / ein wenig im zweifel bin ich, ob eine
solche textausgabe in Ihr vorwiegend politisch-historisches verlagsprogramm
hineinpaszt. hoelderlins texte verweigern sich einer rezeption,
die es sich am aesthetischen genusz genuegen laeszt, ebenso,
wie der lehrhaften analyse. auf ihre weise provozieren sie jene
'Revolution der Gesinnungen und Vorstellungsarten', von der er
1797 an ebel schreibt. er postuliert sie nicht als bedingung
einer wirklichen revolution, sondern als ihren wesentlichen realen
faktor. insofern waere der schlag gegen die hoelderlin-hierodulie
nur ein aspekt der neuen textedition. unuebersehbar ist in hoelderlins
erwartung einer besseren gesellschaft das eschatologische moment.
anders war die differenz der gesellschaftlichen wirklichkeit
zur menschenmoeglichen nicht auszudruecken. dem anspruch eines
solcherart reinen denkens ist standzuhalten, dann existiert auch
kein widerspruch zwischen gedichtetem und realer anstrengung.
/ meine geschaefte halten mich hier fest. ich wuerde mich darum
sehr freuen, Sie im november in kassel kennenzulernen.'; 28. oktober,
kd wolff: 'dasz Sie zweifel ueber das 'in-das-rote-stern-programm-passen'
haben, verwundert uns nicht. wie Sie vielleicht aber auch an
unserem neuen almanach sahen, versuchen wir sehr, unsere denkanstrengungen
auch von den gaengigen schablonen der linken nicht einschraenken
zu lassen. so 'paszt' unser programm jetzt manchen an manchen
stellen nicht mehr. unser arbeitsstil hier im verlag und unsere
diskussionen haben sich darueber jedenfalls verbessert.'; 21. november,
auf der rueckreise von der redaktionskonferenz der wenig spaeter
aufgegebenen zeitschrift 'erziehung und klassenkampf' besuch
von kd wolff und michel leiner in kassel; vereinbart wird
in der folge eine neue historisch-kritische hoelderlin-ausgabe
in 20 baenden; als erstes die herstellung eines einleitungsbands
zur bekanntmachung des vorhandenen und zur akquisition von subskribenten;
18. dezember, kd wolff: 'wir sprechen hier oft von
Ihrem / unserem hoelderlin-projekt; wenn wir bedrueckt sind,
ist die aussicht auf die arbeit daran fast wie ein lichtblick.
wie steht es mit der von Ihrer frau fuer eher zu optimistisch
eingeschaetzten zeitplanung der umschrift bis ende januar?';
21. dezember, erbitte von maria kohler im hoelderlin-archiv
eine 1965 erschienene detailkritik an friedrich beiszners 'Patmos'-edition
von emery george