/ d e sattler -
entwuerfe publikationen / ungedruckte aufsaetze und
vortraege /
inversio
entwurf zu einem unter dem titel 'inversion des textbegriffs
im prozeß der frankfurter hölderlin-ausgabe' angekündigten
beitrag zum editoren-kolloquium 'wissenschaftliche editionen
versus handschriften-editionen' am 28. april 1996 in der fu berlin;
der vortrag wurde dann doch frei und ohne die hier konzipierte
einleitung gehalten
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der gewählte titel enthält eine irritation; wird text
als unteilbarer und substanzloser begriff betrachtet ist nicht
einzusehen wie eine variable menge von elementen wenigstens aber
zwei vertauschbare elemente voraussetzende inversion in ihm stattfinden
könnte; sie wird verstärkt und wie ich zeigen werde
aufgelöst durch eine zweite und eine dritte frage: wie kann
sich der textbegriff während der herstellung einer historisch-kritischen
edition so verwandeln daß anfang und ende sich schlechterdings
nicht gleichen können? bedeutet das etwa daß bei ihrer
konzeption eine verläßliche grundlage zur methodischen
durchführung fehlte? diese und zahlreiche weitere im fortgang
der darlegungen zur sprache kommenden irritationen beruhen entweder
auf der verletzung eines konsenses: was normalerweise unter den
begriffen text und inversion zu verstehen sei oder wie man sich
die vorbereitung und ausführung einer historisch-kritischen
ausgabe vorzustellen habe oder auf der kollision mit einer editorischen
lehrmeinung zum verhandelten begriff
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indem hier über die prozessuale verwandlung des textbegriffs
nicht allgemein in einer bestimmten zeit sondern innerhalb der
von mir im verlag roter stern hernach stroemfeld / roter stern
oder nur noch stroemfeld verlag herausgegebenen historisch-kritischen
hölderlin-edition gesprochen wird sind drei der jene verwandlung
bestimmenden faktoren genannt; schon die metamorphose des verlagsnamens
im verlauf der 22jährigen editionsgeschichte vermittelt
exemplarisch wie jene drei zusammenwirkenden ihrerseits prozessual
dynamischen faktoren einen anscheinend feststehenden begriff
dergestalt determinieren daß am ende vollendet invers das
stroemfeld des hölderlinschen wäschezettels dem anfänglichen
fixstern gegenübersteht; daß das objekt der edition
und des verlags zum seinerseits auf die wirkenden subjekte einwirkenden
subjekt werden konnte ist bezeichnend für das hier darzustellende
phänomen
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die vom wirkenden werk bewirkte inversion war keine konversion;
im gegenteil: in ihr mußte jener emblematische name schon
darum zur erinnerung werden weil er auch zur zeit seiner gültigkeit
nichts über jene am firmament der zeit sichtbare bewegung
zum antitendenziellen schlechthin zum dichterischen aussagte
die dem verlag vom tag seiner gründung an zum verlassen
der im ersten produkt nur scheinbar fixierten position veranlaßte
und ihm die exzentrische kometenbahn vorschrieb; am 28. oktober
1974 noch vor der ersten begegnung schrieb kd wolff an den herausgeber:
'Daß Sie Zweifel über das in das rote-Stern-Programm
'passen' haben, verwundert uns nicht. Wie Sie vielleicht aber
auch an unserem neuen Almanach sahen, versuchen wir sehr, unsere
Denkanstrengungen auch von gängigen Schablonen der Linken
nicht einschränken zu lassen. So 'paßt' unser Programm
jetzt manchen an manchen Stellen nicht mehr. Unser Arbeitsstil
hier im Verlag und unsere Diskussionen haben sich darüber
jedenfalls verbessert.' nachzulesen im demnächst mit dem
zweiten stück der 'textkritischen beiträge' erscheinenden
dossier frankfurter hölderlin-ausgabe II; insofern war das
'angesichts des verlagsnamens' außer zweifel stehende wissen
über die ideologische tendenz der in einsamer schule vorbereiteten
hölderlin-edition schon 1975 bei erscheinen ihrer 'Einleitung'
klischee; daß die ungedachte hohlform noch 1996 von den
gegnern textgenetischer edition gegen jede realität wiederholt
wird (zuletzt von jochen schmidt im berliner 'Tagesspiegel' vom
19. januar 1996) zeigt nur an von welcher begrifflichen verbohrtheit
die diskussion um den fetisch text von dieser seite geprägt
ist; begriff als monstranz der lüge
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das subversiv dichterische durchbrach den gestanzten begriff
im nachbeben der frankfurter aufklärung als die seite 75
des homburger foliohefts nach 170jähriger verborgenheit
zum fanal eines aufbruchs wurde; der interne nichttext öffentlich
gemacht in den hundstagen des sommers 1975 alle mitreißend
entrückend: 'Bald aber wird, wie ein Hund, umgehn / In der
Hizze meine Stimme auf den Gassen der Garten / In den wohnen
Menschen / In Frankreich / Frankfurt aber / nach der Gestalt,
die / Abdruk ist der Natur, / Des Menschen nemlich, ist der Nabel
/ Dieser Erde.' am rechten rand und am kopf der seite vermutlich
im anschluß an dieses als gelesenes präsente als authentischer
text nicht mehr edierbare 'Werber vom Abgrund keine Polaken sind
wir' (die ihr verlorenes vaterland suchenden von denen buonaparte
erst kürzlich einen teil nach san domingo einschiffen ließ)
'und gegangen / Der Gelehrten halb in Zweifel und Aergerniß
/ Denn sinnlicher sind Menschen / In dem Brand / Der Wüste.
/ Lichtrunken und der Thiergeist ruhet / Mit ihnen. Indessen
aber an meinem Schatten / Richt' ich und Spiegel die Zinne /
Meinen Fürsten / Die Hüfte unter dem Stern und kehr'
in Hahnenschrei / Den Augenblik des Triumphs'; aber auch die
triumphe des durchbruchs waren an den bruchstellen des prozesses
abzubüßen
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die kennmarke aus dem souterrain einer bitteren komödie
vom 'mars der malcontenten' zu dürers vorher nicht abgebildetem
'roter stern in wolken' auf der rückseite des 'heiligen
hieronymus in der wildnis' der mir am 7. oktober 1979 in basel
aus einem werkeverzeichnis ins auge fiel; um die gleiche zeit
auch jene 'rote Sternezeichen' und 'rote Sterne' in einem der
drei faksimiles von gedichthandschriften in der zweibändigen
historisch-kritischen trakl-ausgabe von 1969 (wie hölderlins
odenentwurf 'Geh unter, schöne Sonne
' auf einem briefumschlag
notiert und nach dem editionsmodell der frankfurter ausgabe als
prolegomenon zu einer neuen trakl-ausgabe neu ediert in 'Le pauvre
Holterling' 4/5)
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auf der rückseite des zum fünfzehnjährigen von
kd wolff herausgegebenen almanachs aufs jahr 1986 wurde ein segment
zum gesang 'Kolomb' das weder unter der rubrik 'Hymnische Entwürfe'
noch unter 'Pläne und Bruchstücke' aufnahme im textteil
der stuttgarter ausgabe fand zur devise: 'Entdekungsreisen /
als Versuche, den hesperischen / orbis, im Gegensaze gegen den
/ orbis der Alten zu bestimmen.' dasselbe meinte ein zitat aus
vergils sibyllinischer ekloge das ich 'Jasons Stein' meiner ersten
gedruckten miszelle voranstellte: alter erit tum Tiphys, et altera
quae vehat Argo / delectos heroas'; erst bei vorbereitung der
'144 fliegenden Briefe' wurde sichtbar daß die unmittelbare
fortsetzung über johann georg hamanns 'Kreuzzüge des
Philologen' steht: '- - - erunt etiam altera bella, / atque iterum
ad Troiam magnus mittetur Achilles.' im zusammenhang: sein wird
ein anderer tiphys eine andere argo / trägt dann erlesene
helden. sein werden andere kriege / und gegen troja gesandt wird
wieder ein großer achilles
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zu diesen vielleicht befremdenden mythisierungen ist hier nur
zweierlei zu sagen; auch sie sind reflex; im wortsinn einer wahrnehmung
die sich gegen das wahrgenommene das dichterische wort nicht
abdichtet; eine geisteswissenschaft die das gebietet zeigt damit
nur wie fremd sie ihrem gegenstand in wahrheit ist und wie sehr
sie in heimlicher xenophobie den ihr fremden gegenstand verachtet;
indem sie von den ihr sich ergebenden geistern die selbstverpflichtung
zur indolenz abverlangt und sie zu einem denken drillt dem alles
außerhalb des objektiv sich gebenden szeintifischen ichs
liegende zum nichtich wird das heißt auf gut fichteanisch
zum objekt einer möglichen usurpation und jeder erdenklichen
ausbeutung fordert sie von jedem innerhalb ihres mehrtausendjährigen
reiches den gnadenlosen blick von schreibtischtätern oder
folterknechten; der glaube an die überlegenheit des wissenschaftlichen
denkens ist demnach eine erscheinung kleinbürgerlicher intellektualität;
ein wahn also nicht anders als eben erst rassen- oder klassenwahn
die lediglich seine ableger waren; als mythos der undichterischen
existenzen der sie durch rituelle pedanterie und orgien der uniformität
in den quasi hypnotischen zustand der unfehlbarkeit versetzt;
ich spreche vom wissenschaftfaschismus dessen denkform sprache
und erscheinung stets erst nach dem zusammenbruch seines jeweils
gegenwärtigen regimes allgemein obsolet und alsbald durch
ein unerkannt neues ersetzt wird; demgegenüber könnten
jene mythisierungen des rezeptiven subjekts als resultat einer
umfassenden rezeptivität für alle dichterische erscheinung
begriffen werden; der unterschied zwischen dem sich alles unterwerfenden
mythos und dichterischer mythisierung ist der zwischen allgemeiner
verblendung und individueller aufklärung per analogie
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was liegt näher als den aufbruch ins neue mit einer entdeckungsreise
zu vergleichen und die fahrt der argonauten mit allen komplikationen
als prognostisches raster zu begreifen?
© des-161298
TEXTKRITISCHE THESEN
konzept (vide Axiomata editorialia)
denken beginnt wenn nichts mehr gilt und alles gesetzt ist
wie jedes orakel
erwies sich dieses adoleszente als doppelsinnig: ich war mir
zwar bewußt daß das geltende mit diesem einen satz
nur potentiell aufs spiel gesetzt war doch ahnte ich nicht daß
der entschluß alles zu setzen eine noch immer nicht abgeschlossene
satzarbeit nach sich ziehen würde
denken: fliegen oder wenigstens auf wasser gehen; nicht dieses
umgraben eines mit fleiß umzäunten das heißt
definierten grundstücks auftauchen aus dem meer des zweckhaften
das gesetzte kritisch noch einmal setzen um endlich zu begreifen
daß nur der jeton text auf den tisch zu werfen war
neu setzen um schließlich auch dieses zurückzulassen
das element des buchstäblichen zu verlassen
das geltende ist das festgesetzte und dieses erscheint definitiv
als text
der einsatz zwischen dem eintritt in das intellektuelle spielkasino
und dem ruf des croupiers rien ne va plus
das gesetzte ist das geltende ist text
in textu abest natura
lege dar inwiefern
frage ob noch etwas anderes sei von welchem das gesagt werden
könnte textologie wie theologie
paulus
gesetz der freiheit verkehrt sich zu dogmatik
nach diesem kein text mehr
postulat der sprechenden das gedächtnis wachhaltenden gemeinde
das gesetz wird durch liebe erfüllt
aber wo liebe ist bedarf es keines gesetzes
die strenge mittelbarkeit
aber ist das gesetz. h
dieses aber ist
das gesetz der entgegensetzung das die erkenntnis freisetzt
wie liebe über
dem gesetz ist
die rede gegen das
buchstäbliche verfestigt sich wird selbst wieder zu bloßer
buchstäblichkeit und jene definitiv antitextuellen sätze
bleiben als stachel der erinnerung in dem wiederum positiv gewordenen
corpus text
das in die zukunft
geworfene wort: auf daß das wort erfüllt werde
ein satz wie 'der
buchstabe tötet der geist ists der lebendig macht' ist antitext
mit den mitteln des textes
© des-161298
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