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POSITIONEN
V / 24-29

GM   'Aber genau diesen […] Zahl, nämlich zwölf, hinausläuft.'; 22 zeilen; nochmals, nur ausfuehrlicher, die an sich unsinnige forderung nach wiederholung von oden und elegien in den baenden 7/8 'gesänge'; vor allem vermiszt gunter martens die vollstaendige uebernahme der in wilmans' 'Taschenbuch für das Jahr 1805' erschienenen gruppe der im oben zitierten brief (vide 21.22) mit der goethe-allusion 'Nachtgesänge' angekuendigten sechs oden und drei hymnischen paralipomena; auszerdem nimmt er an, dasz hoelderlin in dem von drei 'sehr guten Reinschriften' eingeleiteten homburger folioheft 'Gedichte für eine repräsentative Sammlung seiner neuesten Lyrik' vereinigen wollte


24  WIEDERHOLUNG II

bei den baenden 7/8 'gesänge' handelt es sich, wie in den vorausgegangenen baenden 2 'Lieder und Hymnen', 3 'Jambische und hexametrische Formen', 4/5 'Oden', 6 'Elegien und Epigramme', um eine gattungsspezifische, in sich chronologische edition; die gespraechsrezensenten unterstellen der rezensierten arbeit ein konzept, das sie schon seinem titel nach nicht hat; die forderung nach chronologischer, nicht gattungsspezifischer edition des werks wurde erstmals in einem bei der deutschen forschungsgemeinschaft gestellten antrag in ihrer notwendigkeit dargestellt (vide 13); sie erstreckte sich ueberdies auf die chronologische wiedergabe der ueberlieferten korrespondenz sowie der lebensdokumente; der terminus fuer diese seit zehn jahren vorbereitete editionsform lautet

chronologisch-integrale edition

und wurde vom herausgeber gepraegt; in dieser chronologischen darbietung des gesamten materials erscheinen auch die drucke mit der gruppierung der in ihnen zusammengefaszten werke; die vier 'klugen Rathgeber' fordern also von den baenden 7/8 ein konzept, das zur zeit ausgefuehrt und in den voraussichtlich 2003 erscheinenden baenden 19/20, in der chronologisch-integralen darstellung der werke, briefe und dokumente vorliegen wird


RR   'Damit das Problem […] nur als eine Setzung.'; 29 zeilen; behauptet, dasz das 'vollendete Werk' oder dessen begriff 'bei Hölderlin schlicht nicht vorlag' und wundert sich, 'daß das Werk, obwohl es auf dem Papier fragmentarisch erscheint, in Wahrheit abgeschlossen und sogar singbar sein soll'; versteigt sich danach zu den hybriden saetzen: 'Das eine ist, daß der Dichter selbst es möglicherweise 'Gesänge' nennt – für die Wissenschaft ist dies in gewisser Hinsicht unmaßgeblich. Sie hat, egal, wie er es benennt, immer noch zu überprüfen, was es mit dieser Benennung auf sich hat. Es ist nicht damit getan, den Begriff des Gesanges einzuführen, weil Hölderlin ihn verwendet hat, ohne zu sagen, was damit im Unterschied zu Gedicht genau gemeint ist'; im titel 'gesänge' stecke 'eine Polemik und nicht einfach etwas Deskriptives'; nach dem, was er 'mit dem Wort 'Gesang‘' verbinde, nehme er hier nur die 'metaphorische Sprechweise von jemandem' wahr, 'der damit versucht, etwas Bestimmtes zu benennen'; weil 'eine Erläuterung des Begriffs 'Gesang‘' fehle, erschiene es (jenes 'Bestimmte') 'freilich nur als eine Setzung'


25  GESAENGE

auch wenn es nach meinung des kleist- und kafka-herausgebers fuer die wissenschaft unmaszgeblich ist, dasz der dichter seine neue sangart als 'Gesang' bezeichnet, habe ich mich von anfang an dessen benennung gehalten; an boehlendorff, im spaetherbst 1802:

Mein Lieber! ich denke, daß wir die Dichter bis auf unsere Zeit nicht commentiren werden, sondern daß die Sangart überhaupt wird einen andern Karakter nehmen, und daß wir darum nicht aufkommen, weil wir, seit den Griechen, wieder anfangen, vaterländisch und natürlich, eigentlich originell zu singen.

vor diesem und anderen bekenntnissen erscheinen die reuszschen aeuszerungen und auch solche von wolfram groddeck, wenn sie in ihrer leichtfertigkeit so stehen blieben, als jene unter sadduzaeern und pharisaeern zwar uebliche, in augen des geists jedoch unverzeihliche laesterung; nicht nur spricht er der dichterisch und philosophisch durchgebildeten sprache hoelderlins all das ab, was im schattenland als bestimmtheit gilt; er besteht auf dem primat der philologischen seminare ueber die begrifflichkeit eines geists, neben welchem die triumphe hegels und schellings dereinst als 'Hahnenschrei' erscheinen werden; aus dem blickwinkel des herausgebers roland reusz fehlt es dem 'gesang' hoelderlins, anders als den unangefochten gueltigen gattungsbegriffen 'elegie', 'epigramm', 'ode', 'hymne', an jenem schusz tradierter gelehrtheit und ueberhaupt an jener bewohnbaren tradition, in welcher das 'wir' der vier rezensenten sich geistig aufhaelt (vide positionen I); aber wozu, wo etwas 'von Grund aus anders' wurde, die abgegriffenen muenzen fuer das neue, das beleidigt wird von dogma und definition?


26  ERLAEUTERUNG

gemaesz dem schon im herbst 1799, im marginalsegment 'Aber die Sprache…', erscheinenden diktum 'Öfters hab' ich Gesang / versucht' (
S 5: 6) wird in der einleitung zum editorischen teil (band 8) zunaechst eine entwicklung des hoelderlinschen gesangs bis zu dem nur als entwurf ueberlieferten prooemium 'Deutscher Gesang' (S 17) gegeben; bei gelegenheit der schluszzeilen

Und wie des Vaters Hand ihm über den Loken geruht,
In Tagen der Kindheit,
So krönt, daß er schaudernd es fühlt
Ein Seegen das Haupt des Sängers…

erlaubte ich mir einen hinweis auf das wasserzeichen traubenkrone in den hauptwiler papieren und fuegte hinzu:

an dieser stelle der schauder; der durchaus inakzeptable, von bürgerlicher welt und literatur entfernende durchbruch zur prophetischen rede

so sehr inakzeptabel ist das den von den grenzen der buergerlichen welt und ihrer literaturwissenschaft beschraenkten, dasz sie die hier gegebene erlaeuterung als ungesagt nehmen muessen; aehnlich und ausfuehrlicher heiszt es zu 'Am Quell der Donau' (S 191)

Mutter Asia!

dich grüß ich, nicht aus eigener Lust allein,

denn daß ein Gruß dir würde, berief zu Gesange mich
der Genius derer, vor denen, wie von heiligem Berge,

und fernhin, eh es alles geschiehet,
verkünd' ich dirs.

zu diesem einsamen durchbruch zu einem dichten jenseits der literatur, zur bewußtseinslage, in welcher diese niemand mitteilbare bestimmung zweifelsfreier erkannt, im dichterischen wort bekannt und zugleich vor der 'ehernbürgerlichen' mitwelt verborgen werden mußte, vergleiche 'Unter den Alpen gesungen' 18.19 '…und / Zeit eilt hin zum Ort…' (bd 5/846) und die 'bekenntnisse' in den beiden aus Hauptwil an Christian Landauer geschriebenen briefen (17) und (22): 'Überhaupt ists seit ein paar Wochen ein wenig bunt in meinem Kopfe. / O! du weist es, du siehest mir in die Seele, wenn ich dir sage, daß es mich oft um so mächtiger wieder überfällt, je länger ichs mir verschwiegen habe, daß ich ein Herz habe in mir, und doch nicht sehe, wozu? mich niemand mittheilen, hier vollends niemand mich äußern kann…'

ich wuerde gern wissen, ob dieses 'mich niemand mittheilen, hier vollends niemand mich äußern kann' noch immer, mit einem unwort zu reden, vollinhaltlich zutrifft


27  VERZICHT

wenn ich ezra pound edieren wuerde, mueszte ich dann die vom dichter gewaehlte gattungsbezeichnung 'cantos' durch irgendeine andere ersetzen? wie jede edition im dienst des edierten werks, steht der herausgeber im dienst des dichters; er ist nicht verpflichtet, das edierte zu interpretieren; wenn er seine arbeit als grundlage weitergehender untersuchungen betrachtet, hat er noch nicht einmal das recht zu einer ueber editorische zwecke hinausgehenden interpretation; so bequem sie auch sein moegen – erlaeuterungen gehoeren meines erachtens nicht in historisch-kritische ausgaben, noch weniger musz mit der zunge von editoren oder exegeten erklaert oder deklariert werden, was sich, bei etwas gutwilligkeit, von selbst versteht


28  BELEG I

statt der 60 oder 70 stellen zum dichterischen gebrauch des worts 'gesang' hier nur diese eine (
S 1052: 124-131):

                                         aber es gilt
Ein finster Geschlecht, das weder einen Halbgott
Gern hört, oder wenn mit Menschen ein Himmlisches oder
In Woogen erscheint, gestaltlos, oder das Angesicht
Des reinen ehrt, des nahen
Allgegenwärtigen Gottes.

Doch wenn unheilige schon
                                    in Menge
                                                und frech







Was kümmern sie dich
O Gesang den Reinen, ich zwar
Ich sterbe, doch du
Gehest andre Bahn, umsonst
Mag dich ein Neidisches hindern.


GM   'Ich verstehe den Begriff […] eines einzigen 'integralen gesangs' verändert (VIII 535).'; 7 zeilen; bringt eine stelle der 'Friedensfeier' ins spiel und kritisiert den mit dem entwurf von einzelgesaengen nicht in einklang zu bringenden terminus 'integraler gesang'

RR   'Ich muß dennoch […] weil ‚Vaterländische‘ entfällt.'; 16 zeilen; insistiert auf fortsetzung der diskussion des faelschlichen titels 'gesänge' und nennt zwei mit diesem wort verknuepfte 'Pointen'; zum einen impliziere es 'Abgeschlossenheit', so dasz man 'eher den Titel 'Gesangsentwürfe‘ erwarten' wuerde, selbst wenn man die 'Kritik an der Verwendung des Wortes 'Gesang'' einmal zurueckstelle (und nebenbei auch den umstand, dasz dieselbe klausel auch im titel der textbaende 'Lieder und Hymnen, 'Jambische und hexametrische Formen', 'Oden', 'Elegien und Epigramme' haette stehen muessen); die zweite pointe laege darin, 'daß sich die überlieferte Schrift aus ihrem imman[en]ten Bezug zur Semantik' herausloese; wenn er 'Gesänge‘ sage, so behaupte er, dasz dasjenige, was er 'semantisch festmachen' koenne, 'nicht das Relevante' sei; sein beispiel ist das von gunter martens vorgegebene, schon inhaltlich nicht hierher gehoerende zitat 'Bald sind [wir] aber Gesang'; hier ginge es 'um die Vorstellung einer Verwandlung und einer Kommunikation ohne Semantik'; in der 'Benennung mit (?) 'gesänge'' stecke 'ein großes Problem und zugleich eine starke These'; wiederholt wolfram groddecks ansicht, dasz die 'Rede von den 'gesängen' per se nicht besser wurde, 'bloß weil ‚Vaterländische‘' entfalle


29  BELEG II

ich kann der versuchung nicht widerstehen, einen passus aus version
a des gesangs 'Der Einzige' zu zitieren (S 130: 68-72):

                             …heiliggeseztes übergeht
Der Entwurf. Seit nemlich böser Geist sich
Bemächtiget des glüklichen Altertums, unendlich,
Langher währt Eines, gesangsfeind, klanglos, das
In Maasen vergeht, des Sinnes gewaltsames…


- fortsetzung -