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IV / 20-23
RR 'Wenn
man sich einmal anschaut [
] gleichwohl Gedichtform hat.';
21 zeilen; kommt auf die von gunter martens und wolfram
groddeck eroeffnete diskussion zum miszgriff im titel 'gesänge'
zurueck; es gebe 'metrisch gebundene, aber nicht auf metrische
Schemata abbildbare Gebilde oder Gedichte' und die nenne sattler
'gesänge; diese seien 'also nicht in ein Gattungsschema
hineinzupressen'; es klinge 'zwar wie die Erfindung einer neuen
Gattung', gehoere aber 'in die Reihe der bisherigen Bände';
der band 'gesänge' enthalte 'gewissermaßen alle nicht
in konventionelle metrische Schemata gebundenen Gedichte'; vermiszt
in den baenden 7/8 'gesänge' nochmals die in diesem
zeitraum entstandenen oden und elegien; liefert abschlieszend
eine definition der 'Nichtgattung' gesaenge; er waere 'vorsichtig',
zu sagen, Sattler habe 'die Gesänge aus dem gattungsspezifischen
Horizont herausgenommen'; sie seien vielmehr 'als die Nullstelle
der Gattung zu begreifen, weil der Titel 'Gesänge' dasjenige
umgreift, was nicht in konventionelle Schemata' hineinpasse,
gleichwohl aber 'Gedichtform' habe
20 WIEDERHOLUNG I
bei den baenden 7/8 'gesänge' handelt es sich, wie in den
vorausgegangenen baenden 2 'Lieder und Hymnen', 3 'Jambische
und hexametrische Formen', 4/5 'Oden', 6 'Elegien und
Epigramme', um eine gattungsspezifische, in sich chronologische
edition
WG 'Das Wort 'Gesänge' [
] innerhalb der
Edition.'; 4 zeilen; der undeutliche hinweis auf den wilmans-brief
verwischt die von hoelderlin akzentuierte unterscheidung zwischen
'Nachtgesängen' und gesaengen
21 DAS AUSGESPARTE ZITAT
in seinem festvortrag zur gruendung der hoelderlin-gesellschaft,
'Am 7. Juni 1943, an des Dichters hundertstem Todestag',
in anwesenheit des reichsstatthalters und gauleiters, zitierte
und erlaeuterte friedrich beiszner alle erdenklichen stellen,
nur diese eine blieb ausgespart; es ist diejenige, in welcher
sein bis heute akzeptierter gattungsbegriff 'vaterländische
Gesänge' erscheint; sie lautet:
Ich bin eben an
der Durchsicht einiger Nachtgesänge für Ihren Allmanach.
Ich wollte Ihnen aber sogleich antworten, damit kein Sehnen in
unsere Beziehung kommt. / Es ist eine Freude, sich dem Leser
zu opfern, und sich mit ihm in die engen Schranken unserer noch
kinderähnlichen Kultur zu begeben. / Übrigens sind
Liebeslieder immer müder Flug, denn so weit sind wir noch
immer, troz der Verschiedenheit der Stoffe; ein anders ist das
hohe und reine Frohloken vaterländischer Gesänge. /
Das Prophetische der Messiade und einiger Oden ist Ausnahme.
die gruende, die
friedrich beiszner bewogen, dieses zitat auszusparen und spaeter
dennoch den aus dem zusammenhang gerissenen, jetzt durchaus miszverstaendlichen
begriff als die in nachkriegsdeutschland akzeptierte gattungsbezeichnung
zu waehlen, und die gruende, die nunmehr wolfram groddeck hinderten,
den wortlaut des zitats deutlicher zu bezeichnen oder gar zu
reflektieren, duerften beinahe dieselben sein; der ideologischen
gesinnung von damals wie der aehnliche treue fordernden wissenschaftsideologie
von gestern bis heute muszte die rede vom 'Prophetischen', das
den vaterlandsbegriff der gesaenge abhebt vom beschraenkt politischen,
in gleicher weise obsolet sein
22 NACHTGESÄNGE
nun ironisiert, auf denkbar tiefste weise, das wort 'Nachtgesänge'
jene fuer almanache bestimmten produkte, um welche ein letztes
mal der verleger der sophokles-tragoedien hoelderlin gebeten
hatte; das wort selbst ist, wie die gespraechrezensenten wissen
sollten, dem erst im herbst 1803 erschienenen konkurrenzprodukt,
dem von goethe und wieland herausgegebenen und bei cotta gedruckten
'Taschenbuch auf das Jahr 1804', dem sogenannten 'Liederalmanach',
entnommen; goethes an die almanachleserin oder den almanachleser
gerichtetes ghasel 'Nachtgesang. / O gib, vom weichen Pfühle,
/ Träumend, ein halb Gehör! / Bei meinem Saitenspiele
/ Schlafe! was willst du mehr
' ist darin, eben weil es
seinerseits das medium ironisiert, vielleicht das beste; zwar
haben hoelderlins neun 'Nachtgesänge', mit welchen er sich
noch einmal 'in die engen Schranken unserer noch kinderähnlichen
Kultur' begibt, mit jener populaeren gattung von 'Liebesliedern'
nichts weiter gemein als ihre dem almanachzuschnitt entsprechende
laenge oder kuerze, dennoch stehen sie den anschlieszend genannten
'Gesängen' kontradiktorisch gegenueber; in jene setzt der
dichter 'jezt einen eigentlichen Werth' (FHA 18, p 468);
veroeffentlicht habe ich diesen beitrag zur umwertung geltender
begriffe in 'Text + Kritik', sonderband 'Friedrich Hölderlin',
1996, anmerkung 14, p 173.174; in 'Text. Kritische Beiträge',
3, p 65, verweist eine anmerkung auf diese stelle
23 VATERLAND
hoelderlins erste kleine 'Vesperpredigt' 'Prooemium habendum
d. 27. Dec. 1785. / die Ioannis, in caput primum /
Epistolae ad Ebraeos.' ist schon jenem anderen, friedlicheren
vaterlandsbegriff nahe genug; auch dieses zitat, eben weil es
unangenehm sein duerfte, in seiner ganzen laenge (hebr XI, 13-16):
diese alle sind
gestorben im glauben und haben die verheißung
nicht empfangen sondern sie von fernen gesehen und
sich der vertröstet und wohl benügen lassen und
bekannt daß sie gäste und fremdlinge auf
erden sind; denn die solchs sagen die geben zu verstehen daß
sie ein vaterland suchen; und zwar wo sie das gemeinet
hätten von welchem sie waren ausgezogen hatten
sie ja zeit wieder umzukehren; nun aber begehren sie eines bessern nämlich
eines himmlischen; darum schämet sich gott ihr nicht zu
heißen ihr gott denn er hat ihnen eine stadt
zubereit
und wenn hoelderlin
noch anfang dezember 1803 an wilmans schreibt:
Einzelne lyrische
größere Gedichte 3 oder 4 Bogen, so daß jedes
besonders gedrukt wird weil der Inhalt unmittelbar das Vaterland
angehn soll oder die Zeit, will ich Ihnen auch noch diesen Winter
zu schiken.
so ist gleichwohl
nicht von dem gefaehrlichen vaterlandsbegriff die rede, sondern
von jenem vaterland, das, mit dem 'Herz' des dichters, zugleich
auch 'Echo des Himmels' ist ('Gesang des Deutschen' und 'Ermunterung',
FHA 5, p 624.761)
- fortsetzung -
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