/ d e sattler -
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Diese Mitteilung erreicht
die Bürger der westlichen Bürokratie auf deutschem
Boden in der neunten Woche des Jahres 1986. Als halbseitige Anzeige
in Magazinen und Zeitungen, in Form eines kurzgefaßten
Briefes, dem nur Anrede und Gruß fehlen. Mit dem Namen
des Behördenleiters versehen, der die Vernichtung aller
Namen anordnen wird, irgendwann später, nachdem sie erfaßt
und gezählt sind. Beim Zählen, heißt es, helfen
die Namen. Wie das zugeht, wird nicht erklärt. Daß
sie danach vernichtet werden, soll der Bürger erleichtert
zur Kenntnis nehmen. Der Staat fordert von ihm bislang nie verlangte
Auskünfte und verspricht ihm dafür, diese Auskünfte
unkenntlich zu machen, durch Vernichtung der von Staats wegen
erfaßten Namen, im Namen der Bürger. 'Freundliche
Grüße' unterbleiben. Sie wären nach jenem 'wird
später vernichtet' durchaus fehl am Platz. Dafür deutet
das 'Ihr' vertrauliche Dienstbarkeit an. Der leihweise abgegebene
Name ist in guten Händen. Er wird, nachdem er beim Zählen
behilflich war, sorgfältig vernichtet werden. Das klare
Wort 'vernichtet' ist mit Bedacht gewählt. Der Vorgang versteht
sich von selbst, bedarf keiner Umschreibung. 'Gelöscht'
erinnerte an 'ausgelöscht', 'beseitigt' klänge gleich
übel. Beide führten sie die Zwangsvorstellung von Tätern
und Opfern mit sich. Nicht so das Wort 'vernichtet'. Es ist auf
schmerzlose Weise abstrakt und überdies anonym, was 'namenlos'
bedeutet.
Der Bürger hat sich abgewöhnt, nähere Erklärungen zu erwarten. Das Bundesamt wird schon wissen, warum es den wirklichen Zweck der 'Volkszählung' verschweigt. Was aber hat es mit dem Verschweigen auf sich? Ist es von vornherein legitimiert durch die Gutartigkeit der staatlichen Zwecke und die latente Bösartigkeit bürgerlicher Renitenz, die durch allzuviele Erklärungen nur geweckt und gereizt würde? Die unwiderlegliche, lediglich mißachtbare Antwort darauf gibt Immanuel Kant in seiner Schrift 'Zum ewigen Frieden': 'Alle auf das Recht anderer Menschen bezogenen Handlungen, deren Maxime sich nicht mit der Publizität verträgt, sind unrecht.' Wo der Begriff des Öffentlichen, von dem das gute Wort 'Republik' sich herleitet, zu 'Propaganda' hier (wie jenseits der Trennlinie zu 'Agitation') von Staats wegen herabgewürdigt ist, kann von Rechtstaatlichkeit keine Rede mehr sein. Freilich war und ist ein wahrhaft republikanisches Gemeinwesen kein erreichter Zustand, wie die rechts und links gleichlautenden Staatsnamen glauben machen, sondern bestenfalls ein Ziel. Hier jedoch scheint das Gesetz der Schlangengrube zu herrschen. Dem Bürger ist dies nicht unverborgen geblieben. Er hütet sich, Fragen zu stellen. Die Antworten, die er bekäme, wären so halbwahr, so verlogen, so schlangenhaft wie das Wort 'Volkszählung', denn keineswegs soll nur gezählt werden. Bleibt es dabei, daß die Zähler in die Wohnungen eindringen werden? Zwangsrekrutiert durch selektives Losverfahren aus den niederen Kadern des öffentlichen Dienstes? Werden Prämien ausgesetzt, für das Ausspähen unbekannter Sachverhalte? Welche Auskünfte verlangt der Erhebungsbogen? Und endlich: Wozu all diese Auskünfte? Der Bürger fragt nicht. Er versteht, warum es 'Volkserhebung' allerdings nicht heißen darf, warum das Aktionszeichen, eine lächerliche Zählmaschine mit verschiebbaren Kügelchen, den endlich auszulastenden Zentralmoloch zum Spielzeug verniedlicht. Er versteht, daß es sein muß, wie es ist. Aber er versteht nicht, daß es auch anders sein könnte. Der Bürger nimmt diese zur schlechten Gewohnheit gewordnen Täuschungsmanöver, diese dreisten Umgangsformen der Oberen mit den Unteren, der Verantwortlichen mit den Entmündigten als unabänderlich hin. Das ist nicht neu und gerade deswegen so schlimm. Doch diese Anzeige enthält Schlimmeres:
Der Sachverhalt
ist einfach. Die vorige Regierung hat einen mehrstöckigen
Computer bestellt und die jetzige ihn installieren lassen. Mit
und durch ihn könnte das soziale, fiskalische und juridische
Netz noch enger geknüpft werden. Daten würden schneller
verfügbar, Planungen exakter, Fahndungen jeder Art erfolgreicher.
Fraglos würde das Regieren leichter und effektiver. Fraglos
auch, daß ein richtig und vollständig gespeister Großrechner
die Grenze zum uneingeschränkten Verwaltungsstaat, zur totalen
Bürokratie noch weiter verschieben könnte. Tatsächlich
bedienen sich ähnlich verfaßte Nachbarländer
längst weitaus rigoroserer Methoden, um beispielsweise den
Steuerbetrug einzuschränken, zu welchem freilich nur die
Gutverdienenden überhaupt erst in der Lage sind. Den Ärmeren
bleibt nur der ungleich schwierigere, notgeborene und äußerst
armselige Sozialbetrug: hier ein wenig ungerechtfertiges Wohngeld,
dort etwas Schwarzarbeit bei gleichzeitigem Empfang von Sozialhilfe
oder Arbeitslosengeld. Ein Nichts gegen den unermeßlichen
Schaden, der dem selbst verarmten, durch den weltweiten Zinswucher
ausgepowerten Staat durch illegale und legale Hinterziehung zugefügt
wird. Diese 'Zählung' würde nur die abgewohnten Quartiere
und ihre Bewohner gut durchleuchten. Die verschwiegenen Konten,
die ebenso unproduktiven wie unbesteuerten Zinsenzinsquellen
würden weiterhin ins Dunkle fließen. Wenn irgendwo,
hier wäre der Einsatz von Rechnern gerechtfertigt und lohnend.
Darüber wäre offen zu sprechen. Nur das würde
allen helfen. Was aber tut eine zu Recht um ihre Mehrheit besorgte
Regierung? Wie zerstreut sie die Besorgnisse der zu zählenden
Bevölkerung? Durch nichtssagende, nichtswürdige Redensarten
wie: Ihr Name ist uns egal, er wird später vernichtet; Ihr
Privatleben ist Ihr Bier, das geht uns nichts an. Ist das Letzte
nicht ebenso selbstverständlich wie das Erste unvorstellbar?
Warum dann für teueres Geld derart törichte Sprüche?
Etwa, weil die Zwecke jeder 'Volkszählung' zu Lasten des
Volkes im eigentlichen Sinne der Bedeutung gehen? Etwa, weil
jene närrischen Negationen davon ablenken, was den Staat
an seinen von Jahr zu Jahr mehr zu Statisten herabgewürdigten
Bürgern statistisch noch interessiert, bevor er ihre Vernichtung
zuläßt? Oder sind nur die Standes- und Einwohnermelde-,
die Paß- und Polizeiämter nach soviel Jahren Bundesrepublik
ein wenig in Unordnung geraten? Solange der Staat den Bürgern
so dumm kommt wie hier, muß er sich solche Fragen gefallen
lassen. Und was soll man von der Narrheit einer Ministerialbürokratie
halten, die beim Verwischen der einen Spur eine zweite, noch
tiefere zurückläßt? Zwischen dem 'uns', dem Namen
egal sind, und den dergestalt läppisch Angeredeten reißt
mehr als nur Papier. Ein Riß, der quer geht zum andern,
den das Parteiwesen verursachte. Durch den Mund von gekauften
Textern reden hier Staatsbeamte zu Bürgern, wie einstmals
Kolonialoffiziere mit Eingebornen. Bei allerbestem Willen
da ist keine Identifikation mehr möglich. Da ist das republikanische
Handtuch zerrissen. Da kommt das Wörtchen 'kratie' zur Geltung,
und das bedeutet: Herrschaft der einen über die andern,
der wenigen über die vielen. So deutlich wurde die vielbedauerte
Kluft zwischen dem Staat und seinen Bürgern noch nie ausgesprochen,
wenigstens noch nie vom Staat selbst. Es ist die Kluft zwischen
Funktionären und Menschen. Wenigstens zeigt dies, woran
das Land krankt, legt den Finger auf das, was geändert werden
muß. Denn das Übel neigt zur Verschlimmerung. Wer
es gewähren, ihm seinen Lauf läßt, muß
auch das bittere Ende in Kauf nehmen.
Wer hätte sich
nicht schon gefragt, wohin der Ungeist von damals sich verflüchtigt
habe, wo doch sonst nichts verschwindet und alles Vergehen nichts
als Verwandlung ist. In welcher Verkleidung wandelt der alte
Ungeist unter uns? Dies bange Rätsel löst sich hier,
unversehens und schreckhaft, auf. Diesmal sind es nicht die Leiber,
die konzentriert in Lagern zusammengepfercht werden. Diesmal
werden die Namen zentral erfaßt. Diesmal ist es nicht die
Anzahl der Getöteten, diesmal sind ihnen die Namen der Lebenden
egal. Diesmal helfen die Namen beim Zählen, bevor sie vernichtet
werden, wie damals die Nochnichtgetöteten beim Abzählen
der zu Tötenden. Denke keiner, das eine sei wesentlich schlimmer
als das andere. Die Verachtung des Wesens war schon vor der Vernichtung,
und die uns jetzt bedroht, ist längst eingelagert, jederzeit
bereit. Gesichtslos ist sie auf uns gerichtet, und wenn es geschieht,
ist es niemand gewesen. Wie jetzt, wo die noch perfektere Wiederholung
des Greuelhaften an den Namen der Menschen nur simuliert wird. |