/ d e sattler -
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'kometendeutsch'
Von wengen geringe
Dinge
Verstimmt wie von Schnee war
Die Gloke, womit
Man läutet
Zum Abendessen
Kolomb
freiburg
liegt am gläsernen meer
deswegen weil die von Hermann von Helmholtz um 1860 entdeckte
annähernd reine stimmung der töne im dezember 1997
hier
erstmals öffentlich erklang (HELMHOLTZ-FUNK
für acht computergesteuerte sinusgeneratoren und zwei
ringmodulierte klaviere in natürlicher stimmung) und weil
wolfgang von schweinitz dieser ersten probe
den gleicherweise von bußfertigkeit und gesetzesfreude
durchglänzten
psalm 119 mit seinen 22 buchstabengleich beginnenden
die elementare klangwelt des hebräischen alphabets
quasi systematisch reflektierenden sequenzen
als denkbar reinste matrix unterlegt hat
auf den schluß dieses immateriellen
in dieser eigenschaft den begriff und das verfahren 'absoluter
musik'
antizipierenden gesangs deutet johannes auf patmos
wodurch die unter aufgeklärten tabuisierte
demgemäß nur jenen anstößige mythisierung
des zeitorts
sich von selbst ergab
zu dieser lesart stimmt auch daß sich
im kelch des weitsichtigen johannes tilman riemenschneiders
ein eher lachhaft gewordner drache badet
mit quasi systematisch benannte ich jene phänomenologische
vollständigkeit mit welcher bach den 24 kapiteln des lukasevangeliums
extrahierte segmente dieses die möglichkeit des menschseins
ausschöpfenden exemplarischen christuslebens in die zugleich
mit saiten und engelszungen redende sprache
der präludien und fugen des wohltemperierten claviers übertrug
aber jene zur zweiten natur gewordene praxis
der tonartenmodulation durch den quintenzirkel ist erkauft mit
der gleichmäßig verteilten unreinheit eines überständigen
achteltons
und dieser im sinne schubertscher oder mahlerscher harmonien
euphemistisch vergiftete als materialkomponente noch
der ernsthaftesten kunstanstrengung gegenwärtige wohllaut
kann plötzlich durchhörbar ja ekelhaft werden als inbegriffene
lüge
die hinterrücks dominant wurde im sound des betriebs
dagegen ist die abweichung der helmholtzschen stimmung
so geringfügig daß nur die quinten das reine verhältnis
3 : 2
um die unvernehmliche differenz von knapp 1/4 cent unterschweben
symbolischer rest des inkommensurablen
das sich der konstruktion des reinen und so auch transitiv
den zutritt zum absoluten verweigert
mit dem axiom daß 'die Komposition
der harmonischen Klänge mit ihrer Stimmung bereits vollzogen'
und dem zweiten ebenso paradox wahren daß 'absolute Musik
reine Transkription' sei hat wolfgang von schweinitz
den gewöhnlichen begriff von künstlerischer produktion
in den einer produktiven rezeption überführt und diese
umkehrung
eines mit modernität kaum mehr vereinbaren klischees
erklärt auch das hier angewandte verfahren strenger interlinearität
dessen gleichwohl subjektives resultat objektiv ebenso befreiend
ist
wie die nach gleichem grundsatz transkribierte musik
schon anfang der zwanziger jahre hatte walter benjamin
sinngemäß von der gerade in übersetzungen fühlbaren
apriorität
des sprachlichen über den sinn gesprochen und davon
daß der sprachbewegung heiliger texte die wörtlichkeit
und freiheit
interlinearer übertragungen adäquat sei
das befremden das die schweinitzsche übertragung dennoch
auslösen dürfte kommt nicht von ungefähr
denn nicht nur realisiert sie die paradigmenlos gebliebene
den buber-rosenzweigschen ansatz übersteigende reflexion
benjamins
in der nachbildung von syntax syllabischer quantität
und rhythmischer akzentuierung
womöglich auch der lautgestalt des in offener unzugänglichkeit
transzendierenden laubhüttengesangs
ist überdies die von jenem
nur allgemein und keineswegs ausdrücklich ins auge gefaßte
dialektik
von freiheit und knechtschaft auf die spitze getrieben
in diesem fall die befreiung des deutschen von seiner normalform
durch seine bedingungslose unterwerfung unter das hebräische
dagegen das von einem freiburger lehrstuhl ergangene urteil über
die 'zu Hunderten verquere und unnachvollziehbare Sätze'
enthaltende
interlinearversion zu vorlagen der übertragungen hölderlins
nur 'wer Griechisch kann' sei 'in der Lage eine solche a n
s i c h
unsinnige Interlinear-Version zu verstehen wer aber Griechisch
kann', brauche 'sie erst gar nicht oder' fahre 'mit der Unterstützung
durch eine der gängigen Übersetzungen erheblich besser'
freilich fühlte sich derselbe mann verpflichtet eben jene
stellen
der sophokles-übertragung in sein greueldeutsch zu übersetzen
auf die sich walter benjamin berufen hatte
auf eine gleichbehandlung der pindar-übertragung verzichtete
er nur
'weil die riesige Zahl von Abirrungen und Dunkelheiten einen
etwa fünfhundertseitigen kommentar erfordert hätte'
das nur um raum freizuschaufeln für das hier
die unüberfliegbarkeit des heiligen
das nicht erst im geist und in der wahrheit mehr sein muß
als sein
referierbarer gehalt ist vorab einzuräumen
danach vielleicht zu ermessen was in der apokalyptischen dimension
der wortschicksale mit der austilgung des dichterischen
mit der zurichtung des begeisterten worts zum fad didaktischen
zum schlechthin falschen text der einheitsbibeln geschehen ist
dem entgegnet diese psalmübertragung
nicht diskursiv sondern als teil der buchstaben- und akzentgenauen
vertonung wobei die sprachdynamischen signale
der sperrung der großschreibung der differenzierten lücken
und
der gegenrhythmischen akzente die agogik der notation wiederholen
als dynamisierung der laut gesprochenen wenigstens aber
mitgeflüsterten lektüre irritieren sie die lautlose
und dringen ihrerseits stumm darauf gehört zu werden
dann aber organisieren sich die ungefügt scheinenden wortkörper
in kühnerer syntax zu jener intensität die wir in unserer
ausgeschlossenheit dem innern des urtexts zuschreiben
ebenso die wortwahl die paradoxerweise im fremdbestimmten gefüge
strikter interlinearität die freieste zu sein und zu meiden
hat
die abgegriffenen vokabeln von deren durchgängigem gebrauch
die bürokratische diktion jener interlinerarversionen herrührt
die sich als bloßes hilfsmittel verstehen
wenn also für das in der septuaginta mit makarioi
in der vulgata
mit beati wiedergegebene aschre (oscher : glueck) das initiale
'urFroh'
gefunden wurde so verdankt sich selbst dieser fund dem willen
den vokalen anlaut des alef-segments nachzubilden
ähnlich assoniert die emphatisch reine negation 'Scheißlüg'
dem achtmaligen schäqer (lüge) oder 'ich sinn nach'
dem vielfach
abgewandelten asichah
jeVoschu Sedim ki
- Schäqer `iweTuni
'verDorr doch Hochmut denn Scheißlüg
er beDrückt mich'
'ANi 'aSiach befiquDächa
'Ja Ich béSinn mich bei blick
ernst Viel dein'
mit gleichem ohr für die klanggestalt sind wo irgend möglich
konsonanzen und binnenreime des hebräischen urtexts nachgebildet
und selbstredend stehen für gleiche wörter zumal für
jene ostinaten zur
theophanen tafel zusammengestellten elemente stets
die gleichen 'Sinn-getreuen' entsprechungen
und indem das 'kometendeutsch' dieser interlinearen
möglichst genauer widerschein ist
entsteht ihm zuweilen aus den sprachinseln der althebräischen
verben
allein durch die stellung von präfix und radix
dieser schwebende den modernen indikativ ambig ersetzende jussiv
als die dem reflexiven ton des gebets einzig angemessene
wunsch- und änderungsform
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