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Nach Lissabon
Um den Pokal der europäischen Pokalsieger
spielten im Jahre 1992 nicht, wie es durchaus hätte sein
können, das ruhmreiche Rom und Istanbul, das alte Konstantinopel,
nicht eine der wirklichen oder heimlichen Metropolen dieses fußballbegeisterten
Erdteils, in deren Stadien Woche für Woche sich Hunderttausende
versammeln können, es spielten um den schönen Pokal,
dessen Materialwert alles in allem zwanzigtausend DM betragen
soll und welchen selbst dreißig bis vierzig Flaschen Champagners
noch nicht ganz zu füllen vermögen es spielten
um diesen Pokal nicht Marseille, nicht Mailand, nicht München
und auch nicht Madrid, sondern, seltsamer- und vielleicht nicht
ganz zufälligerweise, zwei durchaus unabhängige und
freie Städte: das Fürstentum Monaco und die Freie und
Hansestadt Bremen, zwei Städte, die eine Geschichte lang
ihre zugegebenen kleine, überschaubare und ungefährliche
Form bewahrt haben, die, ihrer Regierungsform unerachtet, das
schon sind, was andere, nach dem furchtbaren, immer noch anhaltenden
Irrtum der Nationalstaaten, unter Blut und Tränen erst werden
müssen. Sie spielten am Rande des atlantischen Kontinents,
an dem einst die Eroberer sich einschifften, was auf das Konto
der für ihre Ineffektivität berüchtigten paneuropäischen
Zentralbürokratie geht, in einem beinah leeren Stadion.
Das war, wenn auch die ganz große Kasse dadurch ausblieb,
so übel nicht, denn nichts ging zu Bruch im milden Lissabon,
dessen Bewohnern das Ende seiner imperialen Aera, das verheerende
Erdbeben von 1755, noch in den Gesichtern geschrieben steht.
Daß sie und nicht andere das Endspiel bestritten, kann
als ein Zeichen gelesen werden, daß dort, wo die Bedingungen
des Wettbewerbs gleich sind, die Kleinen sehr wohl mithalten
können mit den Großen; kann, für einen Augenblick
wenigstens, betrachtet werden als ein kleiner, bescheidener Sieg
des Regionalismus über den Zentralismus. Vorausgesetzt nur,
daß sie mit einem Augenmaß und Selbstbewußtsein
dem Wettbewerb sich stellen, auf seine Bedingungen sich einlassen.
Werder Bremen ist dafür kein schlechtes Beispiel. Ein von
den Mitgliedern gewähltes Präsidium, das einem Könner
und keinem Blender die Verantwortung übertrug; das ihm Autorität
verschaffte, als diese noch zweifelhaft war; das ihn selbständig
und kotinuierlich arbeiten ließ solange, bis der
Erfolg sich einstellte. Eine Geschäftsleitung, die nicht
aus dem Vollen schöpfen kann und darum mit Recht auf Klasse
statt Masse gesetzt hat. Und wirklich war es ertragreicher, in
einem kleinen Stadion große Spieler auszubilden, als ganz
und gar auf die beschränkten, von dort zu erwartenden Einnahmen
sich einzustellen. Eine aus jungen und erfahrenen Spielern gut
gemischte Mannschaft, die sich mit gutem und bestem Erfolg, mit
Selbstverständlichkeit und Ruhe, und, nebenbei gesagt, ganz
ohne alle Allüren, seit mehr als zehn Jahren dem vierzehntägigen
Plebiszit an der Weserbiegung stellt. Wie gerne würden wir
von unserer Stadt und uns dasselbe sagen dürfen. Aber wir
können es beim besten Willen nicht. Zuviel liegt da im Argen.
Unlautere Vergünstigungen und Pensionen, die ein Parlament
sich für die Stunde X schon verschaffte. Unlautere Methoden
bei der Durchsetzung fragwürdiger Ziele. Hier und da auch
Günstlingswirtschaft. Allzuoft politischer Schematismus
statt Sachverstand. MIt einem Wort: Unprofessionalität.
All das reichte aus, um den Abstieg zu riskieren, reichte aus,
die ohnehin in Frage gestellte Selbständigkeit dieser Freien
Hansestadt zu gefährden, um den Gegnern ihrer Unabhängigkeit
die Argumente zu liefern. Das könnte anders sein. Das muß
noch anders werden. Daß dieses von Personen, von Persönlichkeiten,
und nicht von schicksalhaften Zwängen und Tendenzen abhängt,
diesen Beweis hat Werder Bremen gestern abend geführt. Volley
nahm Klaus Allofs aus Düsseldorf den Ball, er nahm ihn mit
dem Standbein und stand auf dem Schußbein, er schoß
ihn mit dem Standbein unhaltbar ins linke Eck, und, vom selben
Mann durch die Mitte geschickt, umspielte Wynton Rufer aus Neuseeland
den nicht aus Monaco stammenden Torwart der Monegassen; er schob
ihn ein zum Zwei zu Null, ein Senegalese, der retten wollte,
verfehlte die Lederkugel um Fußesbreite. Die Stadt erzitterte
vom Jubel. Die guten Monegassen verstummten. Doch morgen spätestens
werden auch sie ihre Speckflagge wieder entrollen.
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