/ d e sattler -
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rundfunk /
'und der Stimme so vieler Vögel'
hoelderlin in zeitgenoessischen kompositionen
(1) wolfgang von schweinitz, 'des Himmels Höhe', 10: 0'
4'' bis 1' 03''
(2) des: was Sie
soeben vernahmen, ist der neue oder auch uralte klang, den unser
ohr eine geschichte lang entbehrt hat; seine kristalline klarheit
beruht auf der reinen stimmung, die von einem der groszen naturforscher
des 19. jahrhunderts, hermann von helmholtz, wiederentdeckt wurde;
so hiesz auch das erste programmatische werk, das wolfgang von
schweinitz im dezember 1997, zum 25jaehrigen jubilaeum des freiburger
experimentalstudios, zur auffuehrung brachte, 'Helmholtz-Funk';
damit wurde, wie ich denke, das tor zu einer neuen klangwelt
aufgestoszen - kaum wahrgenommen von einer mitwelt, die am blosz
modernen oder gar der mode ihr genuege hat; auf meine anregung
hat wolfgang von schweinitz eigens fuer die heutige sendung die
letzten geschriebenen worte hoelderlins komponiert: 'des Himmels
Höhe glänzet / Den Menschen dann, wie Bäume Blüth'
umkränzet'
die instrumentalen segmente dieses op. 44 fuer sopran und zwei
violinen werden meine kommentare von den ihrer vertonung vorausgehenden
hoelderlin-texten trennen; das ganze stueck erklingt am schlusz
der sendung; auszerdem hoeren Sie in dieser sehr persoenlichen
auswahl werkausschnitte und werke von hans werner henze, györgy
ligeti, luigi nono, heinz holliger, walter zimmermann, györgy
kurtág - und ich fuege erklaerend hinzu, dasz ich mit
allen genannten in naeherer oder entfernterer form durch meine
hoelderlin-arbeit oder auch durch meine 'nebentaetigkeit' als
librettist verbunden bin; einzig luigi nono habe ich nicht persoenlich
kennengelernt, aber er selbst hat bekannt, dasz die von mir edierte
historisch-kritische hoelderlin-ausgabe zu den initialen komponenten
seines streichquartetts 'Fragmente - Stille, An Diotima' gehoerte
beginnen wir mit einem ausschnitt aus hans werner henzes 'Kammermusik'
ueber den spaeten gesang 'In lieblicher Bläue
' fuer
tenor, gitarre und acht solo-instrumente, die ich zufaellig,
im november 1958, hoerte, in der hier wieder erklingenden erstsendung
des norddeutschen rundfunks mit peter pears, tenor; wahrscheinlich
war es dieses erlebnis, das mich als 19jaehrigen kunstschueler
zu hoelderlin fuehrte
zuvor aber, wie auch im weiteren, der hoelderlinische, aus dem
geist der sprache und des denkens geborene 'Seelengesang'
(3) schweinitz 1
(4) In lieblicher
Bläue blühet mit dem metallenen Dache
der Kirchthurm. Den umschwebet Geschrei der Schwalben,
den umgiebt die rührendste Bläue. Die Sonne gehet hoch
darüber und färbet das Blech, im Winde aber oben stille
krähet die Fahne. Wenn einer unter der Gloke dann herabgeht,
jene Treppen, ein stilles Leben ist es, weil, wenn abgesondert
so sehr die Gestalt ist, die Bildsamkeit herauskommt dann
des Menschen. Die Fenster, daraus die Gloken tönen, sind
wie Thore an Schönheit. Nemlich, weil noch der Natur nach
sind die Thore, haben diese die Ähnlichkeit von Bäumen
des Walds. Reinheit aber ist auch Schönheit. Innen aus
Verschiedenem entsteht ein ernster Geist. So sehr einfältig
aber die Bilder, so sehr heilig sind die, daß man wirklich
oft
fürchtet, die zu beschreiben. Die Himmlischen aber, die
immer
gut sind, alles zumal, wie Reiche, haben diese, Tugend und
Freude. Der Mensch darf das nachahmen. Darf, wenn lauter
Mühe das Leben, ein Mensch aufschauen und sagen: so will
ich
auch seyn? Ja. So lange die Freundlichkeit noch am Herzen,
die Reine, dauert, misset nicht unglüklich der Mensch
sich mit der Gottheit. Ist unbekannt Gott? Ist er offenbar
wie der Himmel? dieses glaub' ich eher. Des Menschen Maas
ist's. Voll Verdienst, doch dichterisch, wohnet der Mensch
auf dieser Erde. Doch reiner ist nicht der Schatten der Nacht
mit den Sternen, wenn ich so sagen könnte, als der Mensch,
der heißet ein Bild der Gottheit.
Giebt es auf Erden ein Maas? Es giebt keines. Nemlich es
hemmen den Donnergang nie die Welten des Schöpfers.
Auch eine Blume ist schön, weil sie blühet unter der
Sonne.
Es findet das Aug' oft im Leben Wesen, die viel schöner
noch zu nennen wären als die Blumen. O! ich weiß das
wohl!
Denn zu bluten an Gestalt und Herz, und ganz nicht mehr
zu seyn, gefällt das Gott? Die Seele aber, wie ich glaube,
muß
rein bleiben, sonst reicht an das Mächtige auf Fittigen
der Adler mit lobendem Gesange und der Stimme so vieler
Vögel. Es ist die Wesenheit, die Gestalt ist's. Du schönes
Bächlein, du scheinest rührend, indem du rollest so
klar,
wie das Auge der Gottheit, durch die Milchstraße. Ich kenne
dich wohl, aber Thränen quillen aus dem Auge. Ein heiteres
Leben seh' ich in den Gestalten mich umblühen der Schöpfung,
weil ich es nicht unbillig vergleiche den einsamen Tauben
auf dem Kirchhof. Das Lachen aber scheint mich zu grämen
der Menschen, nemlich ich hab' ein Herz. Möcht' ich
ein Komet seyn? Ich glaube. Denn sie haben die Schnelligkeit
der Vögel; sie blühen am Feuer, und sind wie Kinder
an Reinheit.
Größeres zu wünschen, kann nicht des Menschen
Natur sich
vermessen. Der Tugend Heiterkeit verdient auch gelobt
zu werden vom ernsten Geiste, der zwischen den drei
Säulen wehet des Gartens. Eine schöne Jungfrau muß
das Haupt umkränzen mit Myrtenblumen, weil sie einfach
ist ihrem Wesen nach und ihrem Gefühl. Myrthen aber
giebt es in Griechenland.
Wenn einer in den Spiegel siehet, ein Mann, und siehet
darin sein Bild, wie abgemahlt; es gleicht dem Manne.
Augen hat des Menschen Bild, hingegen Licht der Mond.
Der König Ödipus hat ein Auge zuviel vieleicht. Diese
Leiden dieses Mannes, sie scheinen unbeschreiblich,
unaussprechlich, unausdrüklich. Wenn das Schauspiel
ein solches darstellt, kommt's daher. Wie ist mir's aber,
gedenk' ich deiner jezt? Wie Bäche reißt das Ende
von
Etwas mich dahin, welches sich wie Asien ausdehnet.
Natürlich dieses Leiden, das hat Ödipus. Natürlich
ist's
darum. Hat auch Herkules gelitten? Wohl. Die Dioskuren
in ihrer Freundschaft haben die nicht Leiden auch getragen?
Nemlich wie Herkules mit Gott zu streiten, das ist
Leiden. Und die Unsterblichkeit im Neide dieses Lebens,
diese zu theilen, ist ein Leiden auch. Doch das ist auch
ein Leiden, wenn mit Sommerfleken ist bedekt ein Mensch,
mit manchen Fleken ganz überdekt zu seyn! Das thut
die schöne Sonne: nemlich die ziehet alles auf. Die Jünglinge
führt die Bahn sie mit Reizen ihrer Stralen wie mit Rossen.
Die Leiden scheinen so, die Ödipus getragen, als wie
ein armer Mann klagt, daß ihm etwas fehle. Sohn Laios,
armer Fremdling in Griechenland! Leben ist Tod, und
Tod ist auch ein Leben.
(5) hans werner
henze, aus: 'Kammermusik 1958'; kompositionsauftrag des norddeutschen
rundfunks, ua 26. 11. 1958, mit peter pears, tenor; von 'Voll
Verdienst, doch dichterisch
' bis '
Es ist die
Wesenheit, die Gestalt ist's.'
(6) des: anders
als viele gedichte goethes, eichendorffs, heines oder wilhelm
muellers, die im gedaechtnis der nachwelt als lieder fortleben,
entzieht sich hoelderlins 'Gesang' tendenziell dem hinzutretenden
medium musik; so schreibt er im dezember 1803 an den verleger
der sophokles-tragoedien, der ihn um kleinere gedichte fuer einen
der zahlreichen der unterhaltung dienenden almanache gebeten
hatte: 'Übrigens sind Liebeslieder immer müder Flug,
denn so weit sind wir noch immer, troz der Verschiedenheit der
Stoffe; ein anders ist das hohe und reine Frohloken vaterländischer
Gesänge.'; abgesehen davon, dasz dieses 'vaterländische'
ein hoeheres vaterland meint als das beschraenkt und zu zeiten
auch gefaehrlich nationelle, verweist die feststellung des dichters
auf seine vorzeitigkeit, auf die differenz zwischen gegenwaertiger
literatur und seiner unter dem begriff 'literatur' nicht mehr
subsumierbaren sangart, deren gegenwart noch immer nicht da ist;
wenn sprache mehr als mittel der mitteilung, wenn sie in ihrem
inneren selbst schon musik ist, ist sie in hoelderlins gesang
zu sich selbst gekommen; deswegen setzt sich jede transkription
in die immateriellere sprache der musik der gefahr aus, additiv
oder gar inadaequat zu wirken; und ueberdies ist der gesang in
seiner kunst nicht blosze kunst, sondern zugleich auch einsame
schule und deren lehre, wie der metaphorische 'Reegen' in der
grotte des kentauren chiron, der griechische heroen zur zeitveraenderung
erzog; aus diesem gesichtspunkt wird im folgenden textsegement
des gesangs 'Kolomb' das 'wohlgestimmte Saitenspiel' (bachs 'wohltemperiertes
klavier' war 1802, gleichzeitig in drei verlagen, erstmals im
druck erschienen) als die dem naturgesang der sprache vergleichbare
kategorie herangezogen
(7) schweinitz 2
(8) und
Im zitternden Reegen der Grotte bildete sich
Als auf dem wohlgestimmten Saitenspiel ein Menschenbild
Aus Eindrüken des Walds
(9) des: aber jene
zur zweiten natur gewordene kunstsprache der abendlaendischen
musik, die praxis der tonartenmodulation durch den kuenstlich
geschlossenen quintenzirkel, ist erkauft mit der gleichmaeszig
verteilten unreinheit eines ueberstaendigen achteltons, und dieser
schon in schubertschen oder mahlerschen harmonien euphemistisch
vergiftete wohllaut ist als untilgbare materialkomponente noch
der ernsthaftesten kunstanstrengung eingeschrieben; dasz hoelderlin
ein gehoer hierfuer hatte, bezeugt eine weitere stelle in dem
hesperischen, erst jetzt als ganzes lesbaren gesang 'Kolomb'
(10) schweinitz
3
(11) Ein Murren
war es, ungedultig, denn während
Daß sie schrien Manna und Himmelsbrod
Verstimmt wie vom Schnee war
Die Gloke, womit
Man läutet
Zum Abendessen.
(12) des: 'Reinheit
aber ist auch Schönheit' lautete die zentrale formel im
turmgesang 'In lieblicher Bläue
'; freilich kann der
gesang, in seiner vergeistigten gegenstaendlichkeit, nicht selber
schon das reine sein; er schwimmt vielmehr, wie inseln oder wolken,
in der gegenstandslosen klarheit des reinen elements, dialektisch
gestimmt vom anderen, inhaltsschweren extrem, dem gewitter, dessen
donner und blitze der dichter an anderer stelle mit dem unfriedlichen
gang der menschengeschichte oder mit dem ruhm und dem zorn gottes
vergleicht; genau das ruft 'Griechenland', der vorletzte jener
zwoelf hesperischen doppelgesaenge, mit prognostischer schaerfe
in eine zeit, der die denkform des gesangs indessen so gruendlich
abhanden kam, dasz dessen prophetisches frohlocken der allgegenwaertigen
ohnmacht als geistesgewalt, erinnerung und innigkeit einsam und
fremd gegenuebersteht
(13) schweinitz
4
(14) O ihr Stimmen
des Geschiks, ihr Wege des Wanderers
Denn an der Schule Blau, wo Geist von lang her toset
Tönt wie der Amsel Gesang
Der Wolken heitere Stimmung gut
Gestimmt vom Daseyn Gottes, dem Gewitter.
(15) des: das aus
zwei siebenzeiligen, der stimmung nach gerade entgegengesetzten
strophen gebaute gedicht 'Hälfte des Lebens' erinnert in
seiner biographischen bestimmtheit an den gluecklichen sommer
1796, mit suzette gontard-borckenstein, hoelderlins diotima,
am kasseler lac unter dem herkules, und es faszt, mit dem blick
auf die zweite, winterliche lebenshaelfte, zugleich auch die
'frostige Nacht' einer kuenftigen, noch jetzt andauernden zeit
ins auge; ihrer kontradiktorischen form nach sind jene beiden
aus der betrachtenden lebensmitte, erinnernd und hinausschauend,
wahrgenommenen lebenshaelften dichterisches beispiel fuer das
hoechste, vom dichter selbst bei gelegenheit dieses gedichtes
formulierte denkgesetz, dasz 'Erkentniß nur durch Entgegensezung
möglich ist'
in györgy ligetis 1982 entstandenen 'Drei Phantasien nach
Friedrich Hölderlin' fuer 16stimmigen gemischten chor a
cappella - hier mit der groupe vocal de france unter der leitung
von guy reibel - steht 'Hälfte des Lebens' an erster stelle;
wie Sie hoeren werden, scheint die sprache gleichsam in der tonflut
zu ertrinken; zugleich ist sie aber movens einer konsequenten,
besonders fuer diesen komponisten charakteristischen erweiterung
und dichten anwendung der musikalischen mittel, hier jener des
chors; wenn auch das expressive 'Weh mir' am beginn oder die
nachbildung von 'im Winde' gegen ende des zweiten segments unmittelbar
das gedichtete verstaerkt, ueberlagert die eigengesetzlichkeit
der komposition diktion und gesetz des gedichts; ich bemerke
dies ohne zu werten, denn selbstredend hat der kuenstler bei
seiner adaptation eines anderen kunstwerks, die doch immer auch
den charakter der hommage traegt, die freie wahl der mittel;
und wir haben in unserer hoerenden betrachtung nur zu unterscheiden,
in welcher proportion sich jeweils wort und ton zueinander verhalten,
ob das eine oder das andere die prioritaet innehat, oder ob beide
etwa gleichgewichtig zueinander stehen
(16) schweinitz
5
(17) Hälfte
des Lebens.
Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.
Weh mir, wo nehm' ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.
(18) györgy
ligeti, 'Drei Phantasien nach Friedrich Hölderlin', 1: 'Hälfte
des Lebens'
(19) des: luigi
nonos 1979/80 zum 30. beethoven-fest der stadt bonn komponiertes
streichquartett 'Fragmente - Stille, An Diotima' ist dem lasalle-quartett
mit walter levin, 1. violine, henry meyer, 2. violine,
peter kamnitzer, viola, lee fiser, violoncello, gewidmet; Sie
werden drei abschnitte aus dessen einspielung hoeren
der 1981 bei ricordi erschienenen partitur hat nono die folgende
anordnung vorangestellt:
'Die Fragmente, alle aus Gedichten von F. Hölderlin, die
in die Partitur aufgenommen sind, sollen
- in keinem Falle während der Aufführung vorgetragen
werden,
- in keinem Falle als naturalistischer, programmatischer Hinweis
für die Aufführung verstanden werden
aber in vielfältigen Augenblicken sind Gedanken schweigende
'Gesänge' aus anderen Räumen, aus anderen Himmeln
'
erlaubt und ueberaus lohnend waere es, nach meiner meinung, in
einer groeszeren, einzig diesem werk gewidmeten rundfunksendung
zu zeigen, in welcher weise der gedanken- und empfindungsgehalt
der 48 fragmentierten, ueber dem notentext stehenden hoelderlin-zitate
sein sowohl ingenioeses als auch zaertliches verfahren inspirierte;
Sie hoeren zunaechst den anfang, sodann segmente vom ende des
ersten und des abschlieszenden zweiten teils; diese drei ausschnitte
werden jeweils mit worten aus dem elegischen fragment 'Götter
wandelten einst
' eingeleitet; die komposition beginnt mit
dem hinweis '
geheimere Welt
'
(20) schweinitz
6
(21) Götter
wandelten einst bei Menschen, die herrlichen Musen
Und der Jüngling, Apoll,
heilend, begeisternd wie du.
Und du bist mir, wie sie, als hätte der Seeligen Eines
Mich ins Leben gesandt, geh
ich, es wandelt das Bild
Meiner Heldin mit mir, wo ich duld' und bilde, mit Liebe
Bis in den Tod, denn diß
lernt' ich und hab' ich von ihr.
4.
Laß uns leben, o du mit der ich leide, mit der ich
Innig und glaubig und treu
ringe nach schönerer Zeit.
Sind doch wirs! und wüßten sie noch in kommenden
Von uns beiden, wenn einst
wieder der Genius gilt,
Sprächen sie: ihr schuffet euch einst ihr Einsamen liebend
Nur von Göttern gekannt
eure geheimere Welt.
(22) luigi nono,
'Fragmente - Stille, An Diotima', 1979/80, 'geheimere Welt',
1: 0' 00'' bis 2' 15''
(23) des: die am
schlusz des hoelderlin-fragments stehende fuegung 'Hoffend und
duldend' hat nono in die mitte seines quartetts gesetzt; hoeren
Sie vor jener zaesur eine dieser fuer die komposition kennzeichnenden,
mit 'ENDLOS!?' (ausrufezeichen, fragezeichen), zuweilen auch
mit 'al niente', gegen nichts, ueberschriebenen fermaten
(24) schweinitz
7
(25) Ihr Verwaisten,
so lebtet ihr fromm in genügsamer Stille
Denn die Sterbliches nur besorgt, es empfängt sie die Erde
Aber näher zum Licht
wandern, zum Aether zurük
Sie, die inniger Liebe treu, und göttlichem Geiste
Hoffend und duldend und still
über das Schiksaal gesiegt.
(26) luigi nono,
'Hoffend und duldend', 1: 16' 47'' bis 18' 22''
(27) des: die mikroludien
am schlusz der komposition werden eingeleitet durch die im gedicht
frueher erscheinende wendung 'zum Aether hinauf'; luigi nono
waehlte diese, meiner edition entnommene variante gegen hoelderlins
letzte intention 'zum Aether zurük', und bitte vergeben
Sie mir, wenn ich an dieser stelle aus einem gespraech luigi
nonos mit klaus kropfinger zitiere: 'aber das prinzipielle 'Danke'
als Wort Hölderlins, das aus der Frankfurter Ausgabe kommt.
Diese Frankfurter Ausgabe, wo es wirklich das Faksimile von ihm
gibt und dann diese wunderbare Differenzierung im Druck, wo man
sieht, wie er wirklich komponiert hat.'
(28) luigi nono,
'zum Aether hinauf', 2: 15' 12'' bis 19' 30''
(29) des: heinz
holligers 22teiliger 'Scardanelli-Zyklus' erschien als ganzes
1993 bei ecm, muenchen, mit den london voices und dem ensemble
modern unter der leitung von heinz holliger und terry edwards;
die cd enthielt als beilage uebrigens die erste probe der 2004
erscheinenden leseausgabe der werke, briefe und lebensdokumente
hoelderlins in chronologischer folge, hier schon fuer die jahre
1806 bis 1843
ich waehle das 17. stueck 'Sommer I' und bin mir bewuszt,
dasz ich damit dem vielgestaltigen, formal auszerordentlich reichen
werk nicht gerecht werde; der komponist bemerkt zu diesem segment:
'Kanon für 6 - 8 Sängerinnen. Jede Sängerin singt
im Tempo ihres Pulsschlags eines der fünf zur Wahl stehenden
'Sommer'-Gedichte. Nach und nach werden immer mehr Töne
ausgelöscht. Übrig bleiben nur noch stumme Lippenbewegungen.';
das perlmuttschimmernde, wie der lapis in der asche liegende
gedicht 'Der Sommer. Die Tage gehn vorbei mit sanffter Lüffte
Rauschen
' bleibt in dieser version unvernehmlich und scheint
hier tatsaechlich nichts weiter zu sein als anlasz eines avantgardistischen
experiments; das waere, wie schon gesagt, legitim, wenn es nicht
das gedichtete wort ad absurdum fuehrte und ueberdies jenes klischee
heillosen wahnsinns transportierte, welches das gedicht selbst
am ueberzeugendsten widerlegt; in diskreter weise koennte es
an jene wegbiegung jenseits des greina-passes erinnern, an der
dem dichter im sommer 1802, nach seiner exzentrischen wanderung
durch frankreich und die schweiz, 'der Ferne Bild' sichtbar wurde
- mit dem raeumlichen gang des rheins und seiner baeche bis zum
stillstand des sees, zum fall und seinem nachweltaehnlichen fortgang
zur muendung auch eine zeitlich zu verstehende ferne des eigenen
und eines allgemeinen schicksals; davon waere allerdings noch
viel zu sagen
(30) schweinitz
8
(31) Der Sommer.
Die Tage gehn vorbei mit sanffter Lüffte Rauschen,
Wenn mit der Wolke sie der Felder Pracht vertauschen,
Des Thales Ende trifft der Berge Dämmerungen,
Dort, wo des Stromes Wellen sich hinabgeschlungen.
Der Wälder Schatten sind umhergebreitet,
Wo auch der Bach entfernt hinuntergleitet,
Und sichtbar ist der Ferne Bild in Stunden,
Wenn sich der Mensch zu diesem Sinn gefunden.
(32) heinz holliger,
'Scardanelli-Zyklus', 1975-1980, segment 17 ' Sommer I'
(33) des: walter
zimmermann lieferte ich das libretto zu 'Hyperion, Briefoper
nach Friedrich Hölderlin', deren skriptura-fassung im september
1992 im mozart-saal der alten oper, frankfurt am main, uraufgefuehrt
wurde; es sangen und sprachen: beth griffith, sopran, björn
waag, tenor, richard salter, basz, und d e sattler als schreibender,
es spielte das ensemble 13 unter der leitung von manfred
reichert; in dem laengeren ausschnitt vernehmlich ist zuweilen
das geraeusch des federkiels als konsonantischer grund der musik,
und aehnlich erschien das geschriebene auf dem hintergrund der
opernbuehne; nach einem erinnernden selbstgespraech des 'eremiten'
beginnt der zweite teil des romans und der komposition; das zusammensein
der liebenden, hyperions und diotimas, auf der jetzt herbstlichen
insel kalaurea; das ploetzliche eintreffen des vom animus bellicosus,
dem kriegerischen geist, beseelten alabanda, der seinem freund
zum befreiungskrieg der griechen auf den peloponnes ruft; die
einwaende diotimas 'O ihr Gewaltsamen, die ihr so schnell zum
äußersten seid'; der abschied 'am Sternenhimmel wollen
wir uns erkennen, er sei das Zeichen zwischen dir und mir'; fragmente
der danach gewechselten briefe; schlieszlich die katastrophe:
'Es ist aus Diotima, unsere Leute haben geplündert, gemordet
ohne Unterschied. Auch unsre Brüder sind erschlagen und
ihr Tod ruft Himmel und Erde zur Rache gegen die Barbaren, an
deren Spitze ich war. Es war ein außerordentlich Projekt,
durch eine Räuberbande mein Elysium zu gründen.'; hyperions
bitte um aufloesung ihrer verbindung, waehrenddes diotima, die
diese briefe nicht sogleich erhaelt, andeutungsweise von ihrem
langsamen sterben spricht; diese briefe sind im hier wiedergegebenen
segment ausgespart, wie in der oper die seeschlacht, in welcher
hyperion den tod sucht und trotz schwerster verwundung nicht
findet; alabanda nimmt abschied, um sich seinen bundesbruedern,
die er verlassen hatte, auszuliefern; der zurueckgebliebene singt
diese als 'Schiksaalslied' beruehmt gewordenen zeilen 'Ihr wandelt
droben im Lichte
' in die saiten; der letzte brief diotimas
trifft ein, zusammen mit der nachricht ihres todes; hyperion,
dessen bleiben in griechenland nicht mehr sein kann, kommt 'unter
die Deutschen': 'Es ist nichts Heiliges, was nicht entheiligt
wird bei diesem Volke, denn wo einmal ein menschlich Wesen abgerichtet
ist, da dient es seinem Zweck, da sucht es seinen Nutzen. Es
ist auch herzzerreißend, wenn man seine Dichter, Künstler
sieht. Sie leben in der Welt wie Fremdlinge im eignen Haus, sie
sind so wie der Dulder Ulyß, da er in Bettlergestalt an
seiner Türe saß, indes die Unverschämten im Saale
lärmten. Wo so beleidigt wird die goettliche Natur und ihre
Künstler, ach! da ist des Lebens Lust hinweg, und jeder
andre Stern ist besser denn die Erde. Wüster immer, öder
werden da die Menschen
'
(34) walter zimmermann,
'Hyperion, Briefoper nach Friedrich Hölderlin', urauffuehrung
20. 9. 1992, frankfurt am main (ohne das dreistimmige madrigal
takt 559-602 und die danach gewechselten briefsegmente; neueinsatz
mit dem instrumentalen stueck vor '
heilige Pflanzenwelt!
')
(35) des: in walter
zimmermanns briefoper 'Hyperion' folgte als abgesang die mit
diotimas stimme sprechende ode 'Wenn aus der Ferne
'; sie
ist mit den im turm entstandenen fragmenten eines dritten teils
des 'Hyperion' ueberliefert; anders als in der oper selbst waehlte
der komponist hier ein aleatorisches verfahren; die tonfolge
ergab sich aus den buchstaeblichen entsprechungen des tonleiter-alphabets
mit den in den wortsilben vorkommenden c, d, e, s, f, g usw.;
wo eine solche entsprechung fehlte, erschien das immer wiederkehrende,
an den gesang der nachtigall gemahnende hohe gis; die entmaterialisierung
jener muehelos wirkenden, ergreifenden, aus himmelsferne den
noch lebenden freund an vergangene tage erinnernden zeilen wurde
aufgehoben durch hoelderlins schrift, die gleichzeitig, als wuerde
sie im augenblick geschrieben, auf dem opernhintergrund erschien
und der saengerin damit dieses virtuose zeitmasz vorgab
(36) walter zimmermann,
'Hyperion', briefoper, abgesang: 'Wenn aus der Ferne
'
((37) folgt etwa 10 sekunden nach einsatz des aleatorischen gesangs;
dieser
geht aber waehrend der gesprochenen eingangsstrophen 'al niente',
so dasz
die musik schon ab 'Urwelt' gaenzlich verstummt ist)
(37) Wenn aus der
Ferne, da wir geschieden sind,
Ich dir noch kennbar bin,
die Vergangenheit
O
du Theilhaber meiner Leiden!
Einiges
Gute bezeichnen dir kann,
So sage, wie erwartet die Freundin dich
In jenen Gärten, da
nach entsetzlicher
Und
dunkler Zeit wir uns gefunden?
Hier
an den Strömen der heiligen Urwelt.
Das muß ich sagen, einiges Gutes war
In deinen Bliken, als in
den Fernen du
Dich
einmal fröhlich umgesehen
Immer
verschlossener Mensch, mit finstrem
Aussehn. Wie flossen Stunden dahin, wie still
War meine Seele über
der Wahrheit daß
Ich
so getrennt gewesen wäre?
Ja!
ich gestand es, ich war die deine.
Wahrhafftig! wie du alles Bekannte mir
In mein Gedächtniß
bringen und schreiben willst,
Mit
Briefen, so ergeht es mir auch
Daß
ich Vergangenes alles sage.
Wars Frühling? war es Sommer? die Nachtigall
Mit süßem Liede
lebte mit Vögeln, die
Nicht
ferne waren im Gebüsche
Und
mit Gerüchen umgaben Bäum' uns.
Die klaren Gänge, niedres Gesträuch und Sand
Auf dem wir traten, machten
erfreulicher
Und
lieblicher die Hyacinthe
Oder
die Tulpe, Viole, Nelke.
Um Wänd und Mauern grünte der Epheu, grünt'
Ein seelig Dunkel hoher Aleeen.
Offt
Des
Abends, Morgens waren dort wir
Redeten
manches und sahn uns froh an.
In meinen Armen lebte der Jüngling auf
Der, noch verlassen, aus
den Gefilden kam,
Die
er mir wies, mit einer Schwermuth,
Aber
die Nahmen der seltnen Orte
Und alles Schöne hatt' er behalten, das
An seeligen Gestanden, auch
mir sehr werth
Im
heimatlichen Lande blühet,
Oder
verborgen, aus hoher Aussicht,
Allwo das Meer auch einer beschauen kann,
Doch keiner seyn will. Nehme
vorlieb, und denk
An
die, die noch vergnügt ist, darum,
Weil
der entzükende Tag uns anschien,
Der mit Geständniß oder der Hände Druk
Anhub, der uns vereinet.
Ach! wehe mir!
Es
waren schöne Tage. Aber
Traurige
Dämmerung folgte nachher.
Du seist so allein in der schönen Welt
Behauptest du mir immer,
Geliebter! das
Weist
aber du nicht,
(38) des: györgy
kurtág schweigt zu seiner musik; ich tue es auch, denn
sie spricht [nicht nur] fuer sich selbst[, sie verinnerlicht
das wort, das sie singt, und immer ist sie auch an einen lebenden
oder gestorbenen gerichtet]; Sie hoeren die fuenf hoelderlin-gesaenge
aus op. 35, aufgenommen 1998 im cuvilliéstheater
muenchen anlaeszlich der verleihung des ernst-von-siemens-musikpreises
an den komponisten; es singt kurt widmer, bariton; in segment
3, 'Gestalt und Geist', begleitet von klaus burger, tuba, und
vitus boehler, posaune
(39) schweinitz
9
(40) An.
Elysium
Dort find ich ja
Zu euch ihr Todesgötter
Dort Diotima Heroen.
Singen möcht ich von dir
Aber nur Thränen.
Und in der Nacht in der ich
wandle erlöscht mir dein
Klares Auge!
himmlischer
Geist.
(41) györgy
kurtág, fuenf hoelderlin-gesaenge aus op. 35;
györgy kurtág, op. 35, I
(42) Im Walde.
Du edles Wild.
Aber in Hütten wohnet der
Mensch, und hüllet sich ein ins
verschämte Gewand, denn
inniger ist achtsamer auch
und daß er bewahre den
Geist, wie die Prie-
sterin die himmlische
Flamme, diß ist sein
Verstand.
Und darum ist
die Willkür ihm
und höhere
Macht
zu fehlen, und
zu vollbringen
dem Götterähnli-
chen, der
Güter Gefähr-
lichstes, die
Sprache dem
Menschen gege-
ben, damit
er schaffend, zer-
störend, und unter-
gehend, und wieder-
kehrend
zur ewigleben-
den, zur Meiste-
rin und Mutter,
damit er zeuge, was er sei
geerbt zu haben, gelernt
von ihr, ihr
Göttlichstes, die allerhaltende Liebe.
(43) györgy
kurtág, op. 35, II
(44) Gestalt und
Geist.
Alles ist innig
Das scheidet
So birgt der Dichter
Verwegner! möchtest von
Angesicht zu Angesicht
Die Seele sehn
Du
gehest in Flammen unter.
(45) györgy
kurtág, op. 35, III
(46) Die Linien
des Lebens sind verschieden
Wie Wege sind, und wie der Berge Gränzen.
Was hier wir sind, kann dort ein Gott ergänzen
Mit Harmonien und ewigem Lohn und Frieden.
(47) györgy
kurtág, op. 35, IV
(48) Der Spaziergang.
Ihr Wälder schön an der Seite,
Am grünen Abhang gemahlt,
Wo ich umher mich leite,
Durch süße Ruhe bezahlt
Für jeden Stachel im Herzen,
Wenn dunkel mir ist der Sinn,
Denn Kunst und Sinnen hat Schmerzen
Gekostet von Anbeginn.
Ihr lieblichen Bilder im Thale,
Zum Beispiel Gärten und Baum,
Und dann der Steg der schmale,
Der Bach zu sehen kaum,
Wie schön aus heiterer Ferne
Glänzt Einem das herrliche Bild
Der Landschaft, die ich gerne
Besuch' in Witterung mild.
Die Gottheit freundlich geleitet
Uns erstlich mit Blau,
Hernach mit Wolken bereitet,
Gebildet wölbig und grau,
Mit sengenden Blizen und Rollen
Des Donners, mit Reiz des Gefilds,
Mit Schönheit, die gequollen
Vom Quell ursprünglichen Bilds.
(49) györgy
kurtág, op. 35, V
(50) des: mit hoelderlins
letzten worten, dem von wolfgang von schweinitz eigens zum heutigen
tag in reiner stimmung komponierten op. 44, kommen wir zum schlusz
der sendung, und ich danke Ihnen schon jetzt fuer Ihre geduld;
Sie koennen diese mir ungewohnte arbeit nochmals im internet-archiv
der hoelderlin-arbeitsstelle bremen nachlesen; dort ergaenzt
um einige partitur-ausschnitte des soeben gehoerten; die hesperischen
gesaenge, aus deren neuem text ich zitierte, erschienen in der
neuen bremer presse; sie sind ueber den buchhandel oder direkt
ueber 'www.hoelderlin.de' erhaeltlich ('hoelderlin' bitte mit
'oe')
bevor ich mich mit dem kurz vor hoelderlins tod am 7. juni
1843 geschriebenen gedicht 'Die Aussicht' verabschiede, hoeren
Sie marc sabat und ekkehard windrich, violine, jetzt mit den
neun instrumentalen, ueber dem ostinaten grundton d sich erhebenden
sequenzen, deren harmonien uns durch die sendung begleiteten;
zuletzt den ganzen gesang mit eiko morikawa, sopran, aufgenommen
am 12. august 2002 im konzertsaal der universitaet der kuenste,
berlin
(51) schweinitz
11: 0' 00'' bis 3' 39''
(52) Die Aussicht.
Wenn in die Ferne geht der Menschen wohnend Leben,
Wo in die Ferne sich erglänzt die Zeit der Reben
Ist auch dabei des Sommers leer Gefilde,
Der Wald erscheint mit seinem dunklen Bilde;
Daß die Natur ergänzt das Bild der Zeiten,
Daß die verweilt, sie schnell vorübergleiten,
Ist aus Vollkommenheit, des Himmels Höhe glänzet
Dem Menschen dann, wie Bäume Blüth' umkränzet.
(53) schweinitz
11: 3' 40'' bis 7' 30''
vide partitur wolfgang von
schweinitz, op. 44 'des Himmels Höhe glänzet'
(html 215 kb); weitere partiturausschnitte demnaechst
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