/ d e sattler -
entwuerfe publikationen / ungedruckte
aufsaetze und vortraege /
' f h a '
I
schon die erste hoelderlin-recherche fuehrte den herausgeber
im september 1972 zur auf der seite 75 des homburger foliohefts
genau bezeichneten stelle am suedlichen absturz der teck, an
welcher der aus frankreich zurueckgekehrte dichter sein individuelles
schicksal als figur eines allgemeinen erkannte:
Scharfer Othem
Aber wehet um die Löcher des Felses. Allda bin ich
Alles miteinander.
es folgte die entdeckung
eines in der stuttgarter ausgabe friedrich beiszners fehlenden
satzes am schlusz der vorhergehenden seite des gleichen konvoluts.
wenig spaeter, beim
studium der handschriften, der segmente des zerbrochenen gesangs,
zeigte sich die notwendigkeit einer dokumentierten, schritt fuer
schritt ueberpruefbaren
edition der dem textbeduerfnis herkoemmlicher ausgaben sich verweigernden
entwuerfe. die zahlreichen (in 'Text' 1-3 dokumentierten) versuche,
diese funde und vorschlaege im jahrbuch der hoelderlin-gesellschaft
zu publizieren, muszten jedoch schon darum scheitern, weil jene
seit 1943 satzungsgemaesz mit der gleichzeitig begonnenen stuttgarter
ausgabe verbunden war. so trafen im spaetherbst 1974 zwei 'kritische
massen' aufeinander: ein unbekannter, durch keine qualifikationen
ausgewiesener leser, der unversehens zum forscher geworden war
und ein kleiner linker verlag, ueber dessen intellektuellen ort
sein signet eindeutige auskunft zu geben schien.
II
ein uebriges taten
die koinzidenzen. alles schien zuzutreffen, als anfang august
1975 zur praesentation der in 3000 exemplaren gedruckten und
alsbald vergriffenen 'Einleitung' mit eben dieser seite 75 in
den frankfurter hof eingeladen wurde. am gleichen ort stand das
gontard'sche haus, frankfurt schien tatsaechlich 'der Nabel /
Dieser Erde' zu sein, des dichters 'Stimme' wirklich in der 'Hizze'
der hundstage umzugehen, und der 'Stern', unter dem der gesang
kuenftigen lesern die 'Hüfte' richten wuerde, alles andere
als der 'Mars der Malkontenten'.
das echo war ueberwaeltigend,
doch auch, wie erwartet, gespalten. mehr als 1500 subskribenten
begleiteten und ermoeglichten den fortgang der edition. eduard
reifferscheid, inhaber des luchterhand-verlags, hatte dem verlag
seine hilfe, mazzino montinari dem herausgeber mitarbeit am genetischen
teil der nietzsche-ausgabe angeboten. gleichwohl galt, solange
die frankfurter ausgabe selbst noch fragment war, die akademische
'lesart', dasz die alte ausgabe zu zitieren, die neue bestenfalls
hinzuzuziehen sei.
III
zur entstehungsgeschichte
ist hier nur kurz zu sagen, dasz die ersten vier regulaeren textbaende
6, 2, 3 und 14 von 1976 bis 1979 unter mitwirkung von wolfram
groddeck erschienen, dasz 1978 die bislang privat finanzierte,
lediglich von der morat-stiftung, freiburg, unterstuetzte arbeitsstelle
in kassel von der universitaet bremen uebernommen wurde, dasz
die deutsche forschungsgemeinschaft von 1980 bis anfang 1992
sachmittel fuer die mitarbeiter michael franz und michael knaupp,
zuletzt hans gerhard steimer bewilligte, dasz in diesem zeitraum
die baende 10/11, 9, 4/5, 12/13, supplement III (mit emery e.
george), 15, 16, supplement II und 17 entstanden, dasz seit 1993,
zusammen mit hans gerhard steimer, zeitweise mit unterstuetzung
der wolfgang-ritter-stiftung, bremen, die baende 1, 18 und supplement
I fertiggestellt, auszerdem die vor ihrem abschlusz stehenden
baende 7/8 und 19/20 vorbereitet wurden, dasz die deutsche forschungsgemeinschaft
1998 nochmals mittel fuer den internet-anschlusz und den abschlusz
der historisch-kritischen hoelderlin-edition gewaehrte.
IV
das problem der
in den baenden 7/8 zu edierenden 'Gesänge' lag weniger in
der entzifferung und darstellung, als in der alle axiome des
edierens aufhebenden verfassung der entwurfsmanuskripte, in den
irritierenden phaenomenen dieser zwischen 1802 und 1806 entstandenen
handschriften: durch gleiche schrift oder woertliche assonanzen
hergestellte beziehungen zwischen weit auseinanderliegenden notaten,
getrennte notationsweise genetisch zusammenhaengender entwurfskomplexe,
syntaktischer zusammenhang verschiedener segmente, konstellativer
zusammenhang zwischen verschiedenen, am gleichen ort notierten
segmentgruppen, konstellative beziehungen selbst zur von der
gegenseite durchschlagenden schrift. alle zusammen fordern eine
produktive rezeption, also eine ueber blosze entzifferung und
konventionelles nacheinander hinausgehende lektuere. so dasz
der zu denkende, editorisch nicht fixierbare text 'lesart', die
bisher den apparaten zugeordnete matrix der handschriften 'text'
ist, der unveraenderliche 'veste Buchstab', der den lesarten
zugrunde liegt. dieser umkehrung entspricht die durchgaengige
editorische segmentierung. sie erst ermoeglicht die erwaegbarkeit,
die intellektuelle 'Bewegbarkeit' des ueberlieferten materials.
V
mit FHA 19/20 kehrt
die edition zum oekonomischen, hier jedoch wesentlich verbesserten
darstellungsmodell der 'phasenanalyse' des einleitungsbandes
zurueck. es gestattet die 'chronologisch-integrale edition' der
bereits edierten werke, der briefe und der lebensdokumente in
nur zwei baenden. an die stelle der traditionellen ordnungskriterien
tritt die zeit als ordnendes prinzip. auf ihrem strom treiben
alle die existenz des dichters ueberliefernden schriften, hier
lediglich differenziert durch die verschiedenen formen der typographischen
darstellung. die rekonstruktion der relativen und kalendarischen
chronologie waere zu beginn der ausgabe nicht moeglich gewesen.
und tatsaechlich ergibt sich aus der konstellation der unterschiedlichen
botschaften ein buendiger zusammenhang, der oft genug den kommentar
ersetzt. nicht zuletzt erlaubt das verfahren die stillschweigende
revision der irrtuemer und fehler einer nunmehr 22jaehrigen editionsarbeit.
|