werner doede, ohne titel





























     werner doede
     ohne titel

 

W. D.   DER VERKLEIDETE MEISTER

Erinnerungen sind wie Zimmertüren in einem langen dunklen Korridor. Hat man erst eine aufgemacht, fällt Licht in die Schatten und es öffnen sich die anderen Türen wie von selbst. (Werner Doede, Rede auf Jan Tschichold, München 1977)

Im Innern jenes Korridors gelangt er zu einer verschlossenen Glastür, hinter den, wie in Berliner Wohnungen, der Gang sich fortsetzt und andere Türen sichtbar werden; die meisten im Schatten, die wenigsten halb oder spaltbreit geöffnet. Hier steht der Nachgeborene und späht, durch den ornamentalen Zierat der Scheiben, ins Nichtmiterlebte. Er sieht, was er sehen soll, und das ist verwirrend genug …

Nicht nur der hier Ansässige, nicht nur der Zugereiste – wer einmal hier gewesen, der ist Dazugehöriger geblieben.

So zu lesen im schönsten seiner zumeist vergriffenen Bücher, das die Hand des gelernten Typographen verrät (Berlin. Kunst und Künstler seit 1870, Recklinghausen 1961), der 1924/25, im Bunde mit Jan Tschichold, an der Leipziger Akademie für Buchgewerbe und Gebrauchsgraphik sein über zehn Jahr sich hinstreckendes, durch Ortswechsel und allerlei Eskapaden unterbrochenes, im übrigen immer zweigleisiges Studium begonnen hat. Theorie und Praxis, anderswo als Widerspruch empfunden, halten sich hier die Waage, sind auf wahrhaft artistische Weise miteinander verquickt. Zwischen 1932 und 1935 bringt er das Kunststück fertig, diesseits des Rheins die freien Künste und jenseits desselben die Kunstgeschichte zu studieren, gleichzeitig wohlgemerkt: in Düsseldorf bei Campendonk und anderen, in Köln bei Koemstedt. Dazwischen lebt der in Posen Geborene, im thüringischen Kahla und Erfurt Aufgewachsene, bei entschiedener Abstinenz im Aufgeregtpolitischen, meist in Berlin, wo ihn der phantasiebegabte Ohrenzeuge durch jene halbgeöffneten Zimmertüren sieht; im Umgang mit russischen Emigranten, ihren schönen, aber unglücklichen Schwestern und Frauen, mit jüdischen Freunden und Universitätsprofessoren, die ihn wohlwollend ermahnen und dem Hochbegabten die Studienstiftung des deutschen Volkes vermitteln. 1929 eilt der junge Künstler zur Eröffnung seiner ersten Ausstellung nach Erfurt, die er Walter Passarge verdankt, dem späteren Mannheimer Museumsdirektor. Eingebettet dies alles im kosmopolitischen, megalomanischen Traum der Zwanziger Jahre, der amorphe und kristalline Strukturen in Einklang zu bringen und, für einen optimistischen Augenblick zwischen zwei furchtbaren Kriegen, die gewachsene Natur mit den Errungenschaften des industriellen Zeitalters zu versöhnen vermochte. Dieses instabile Gleichgewicht, das im Deutschland der Weimarer Republik (oder des Bauhauses) einmal aufgeschienen war, bildet sich in Werner Doedes Collagen und Zeichnungen gleichsam seismographisch ab. In jeder dieser Arbeiten sind, wie oft, im Nachhinein exemplarisch wirkend, die heterogensten Bildelemente zum Ausgleich gebracht: Kurven und Geraden, figürlicher Inhalt und Abstraktion, irrationaler Duktus und konstruktives Kalkül. Daß Synthesen dieser Art, ihrem eigentümlichen Charakter nach, immer diskreter sind als die puristische Fixierung ihrer Momente auf dem extremsten Punkt der Vereinzelung, ist nebenbei anzumerken …