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Clavis Hoelderliniana

23  Wortkunst

Daß Hölderlins Namen reden, ist bekannt. Die Namen im HYPERION lassen sich, soweit griechisch, aus griechischen Wortwurzeln erklären. (1) Doch ist Griechenland nur verkleinernde Hyperbel. Als Hyperion den Freund in der Entzweiung anruft: 'O Alabanda! Alabanda!' (2) hört dieser keine Etymologien, sondern die anagrammatische Assonanz abendländischer Bundlosigkeit. Mit welchem 'Maal' 'die Abendländischen' gezeichnet sind, wird in TINIAN gesagt. (3 ) In den 'Pallästen' der Kirche 'gehet izt viel Irrsaal' (4), statt umgekehrt. Andere Namen verbergen sich anamorphotisch in Umschreibungen: 'Üppig neidiges Unkraut sprosset' – 'das blendet, schneller schießet es auf'. (5) Den Hohn Jeremias über die ägyptisch gewordene 'Jungfrau', die 'umsonst' 'Salbe von Gilead' hole, um sich zu heilen, (6) reproduziert Hölderlin in unerhörter Verdichtung: die 'Ägypterin sizt offnen Busens immer singend wegen Mühe gichtisch das Gelenk im Wald, am Feuer'. (7) Zuvor wird ein Spruch des Jesaia zum Rebus: 'Zu der Zeit wird der Herr zischen der Fliege am Ende der Wasser in Ägypten und der Biene in Assur' (8) – 'Gegen das Meer zischt der Knall der Jagd'. Hölderlin, spöttischer, als man wahrhaben möchte, gebraucht das Worträtsel mit zweideutiger Meisterschaft. Jene auf dem Meer segelnden Freunde in ANDENKEN führen tatsächlich Seekriege (9) (sie sind 'wie die See', die 'nicht still sein kann' (10), 'schelten einander' und 'untereinander' (11)), geflügelte, weil mit der Feder. Der 'Mast', unter der sie 'jahrlang' wohnen, ist entlaubt, wie 'Gedanken' neben dem 'Saitenspiel'. In der ersten Strophe verhüllt die Bordelaiser Paysage ganz anderes: das 'edel Paar von Eichen und Silberpappeln' ist Doppelbildnis mit dem im März 1803 Gestorbenen, der ihm nach Erscheinen des ersten Bandes vom HYPERION begeistert zusang: 'Ich will in der Silberpappel Kühle mich bergen, will tanzen sehen vor mir den Jüngling, das Mädchen mit ihm. Ich will mich der Siegenden freun.' (12) Welch ein Traum! In dem Entwurf VOM ABGRUND NEMLICH… wiederholt Hölderlin das zweifache Portrait. Klopstock heißt 'Nußbaum' (13), weil von diesem die bewußten Stecken geschnitten wurden. Selbst der 'seidene Boden' 'zur Märzenzeit' könnte, kaum wahrnehmbar, auf den erleuchteten Mann 'von Altseidenberg' deuten. Beweise gibt es nicht; doch schließt die Fülle solcher Prägungen deren Zufälligkeit aus.

(1) Vergl. W. Binder, Hölderlins Namenssymbolik; Hölderlin-Jahrbuch 1961/62 S. 95ff.
(2) St.A. 3 S. 37
(3) cf. 5, Anm. 3
(4) . . DER VATIKAN…; St.A 2,1 S. 252
(5) WENN ABER DIE HiMMLISCHEN…; St.A. 2,1 S. 223
(6) Jer. 46,11
(7) UND MITZUFÜHLEN DAS LEBEN…; St.A. 2,1 S. 249
(8) Jes. 7,18
(9) St.A. 2,2 S. 805
(10) Jes. 57,20
(11) DAS NÄCHSTE BESTE; St.A. 2,1 S. 238
(12) IN FREUD UND LEID
(13) cf. 19, Anm. 3