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Clavis Hoelderliniana

22  Innerer Sinn

Die Hilflosigkeit vor der Zweideutigkeit chiffrierter Botschaften tritt dort hervor, wo die Fügung schon zu kühn ist, um noch für normal zu gelten. Die Hymne DER ISTER beginnt mit der Ausruf: 'Jezt komme Feuer! Begierig sind wir zu schauen den Tag, und wenn die Prüfung ist durch die Knie gegangen, mag einer spüren das Waldgeschrei.' (1) Selbst das Grimmsche Wörterbuch bietet bestenfalls 'Vogelsang' für 'Waldgeschrei' (2) an. In . . DER VATIKAN… fragt Hölderlin: 'Ach kennet ihr den nicht mehr den Meister des Forsts, und den Jüngling in der Wüste, der von Honig und Heuschreken sich nährt'. (3) Wahrhaftig, sie kennen ihn nicht! Beim Nachschlagen in der Konkordanz fällt unter den Tisch, was der Jüngling mit schrecklicher Stimme ruft: 'Es ist den Bäumen die Axt schon an die Wurzel gelegt.' (4) Damit wiederholt Johannes der Täufer die Rede des Jesaia nach der Verheißung des 'Friedefürsten'. (5) Dann 'wird das Licht Israels wie ein Feuer, sein Heiliger wie eine Flamme sein und die Herrlichkeit seines Waldes zunichte werden, daß die übrigen Bäume seines Waldes können gezählt werden.' (6) In diesem Sinn ist der 'Friedefürst', dessen Rückkehr Hölderlin erwartet, zugleich der 'Meister des Forsts', und nicht 'einer der Freien, Alten, Begründer der ersten Siedlungen', wie ein Wortfeldvergleich nahelegt. (7) Die Wirkung der Jesajastelle läßt sich bis zu dem Gedicht DIE MUSSE (1797) zurückverfolgen. 'Leben der Welt! du liegst wie ein heiliger Wald da … nehme die Axt, wer will dich zu ebnen.' (8) Jesaia spricht nach dieser Vision von den Übriggebliebenen in der Wahrheit. Hölderlin beginnt den Entwurf DEM FÜRSTEN: 'Laß in der Wahrheit immerdar mich bleiben'. (9) 'Wald' ist keine Ausnahme. Das Spätwerk besteht aus solchen Chiffren.

(1) St.A. 2,1 S. 190
(2) St.A. 2,2 S. 813
(3) St.A. 2,1 S. 252
(4) Matth. 3,10
(5) Jes. 9,5
(6) Jes. 10,14ff.
(7) St.A. 2,2 S. 890
(8) St.A. 1,1 S. 237
(9) St.A. 2,1 S. 246