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Clavis Hoelderliniana

20  Adaptationen

Welche Bedeutung Klopstocks Ode DER NACHAHMER UND DER ERFINDER für Hölderlins Stilwechsel um die Jahrhundertswende hat, ist nicht zu beweisen, doch genügt der Versuch einer Identifikation, um die Wirkung dieses Dialogs abzusehn. Der Nachahmer bewundert am Erfinder, daß er sich selber 'Quellen' hervorrufe. Was der Nachahmer 'erkor, hat schon gefallen'. Er 'schöpft in hellen Krystall'. 'Jeder hat seine Freuden', sagt Klopstock, 'des Quells ich, und du des Kristalls'. Auf den Versuch des Nachahmenden, sich mit ihm zu vergleichen, antwortet der Metrenerfinder jedoch: 'Ein röterer Morgen gebar deinen Freund'. (1) Dies traf. Fortan will der Nachahmende nicht mehr mit seiner 'Sangart' frühere 'Dichter commentiren, sondern vaterländisch und natürlich, eigentlich originell singen'. (2) 'Mit dem Recht des Zimmermanns' macht er daran 'das Kreuz'. 'Mein ist die Rede vom Vaterland. Das neide mir keiner.' (3) WIE WENN AM FEIERTAGE… ist der erste Versuch, gleich Klopstock im selbstgewählten Metrum zu dichten, doch wirft er im Bewußtsein jener inneren Vestigkeit seines Gesangs das künstlich Feste hinter sich. Von jetzt an sind Nachbildungen nur noch Zitat, nicht mehr Unterwerfung. Wer das angeschlagene Thema errät, weiß, woher der Text seinen Sinn gewinnt, doch gilt die Hommage nicht dem eigenen Vorbild, sondern dem 'Gemeingeist' (4) der 'Männer', die da sind, 'wahrer Sache' (5) wegen. So wiederholt der Entwurf SONST, VATER ZEVS… das rhetorische Raster eines Dithyrambos-Fragments aus der Pindar-Ausgabe von 1798 (6). Der Gesang AN DIE MADONNA paraphrasiert den Anhang des Kapitels 'Von den Jungfrauen Maria, und der Menschwerdung Jesu Christi, des Sohn Gottes' in Jacob Böhmes MENSCHWERDUNG JESU CHRISTI: 'Viel hab ich dein' und deines Sohnes wegen gelitten, o Madonna' (7). Hölderlins Originalität erfährt sich nicht in Erfindung. In dem Konzept DER GESICHTSPUNCT AUS DEM WIR DAS ALTERTUM ANZUSEHEN HABEN analysiert er zuerst die Neurose vor dem Allesschoneinmaldagewesenen: – 'wir träumen von Originalität und Selbständigkeit, wir glauben lauter Neues zu sagen, und alles diß ist doch Reaction, gleichsam eine milde Rache gegen die Knechtschaft, womit wir uns verhalten haben gegen das Altertum'. Das Konzept schließt mit dem Imperativ: 'im Urgrunde aller Werke und Thaten der Menschen uns gleich und einig fühlen mit allen, sie seien so groß oder so klein' (8) – von diesem archimedischen Punkt aus ist die Dialektik von Nachahmer und Efinder aus den Angeln zu heben.

(1) a. a. O., S. 225
(2) Brief an Böhlendorff (Ende 1802); St.A. 6,1 S. 433
(3) BR. 71; St.A. 2,1 S. 337
(4) DER EINZIGE; St.A. 2,2 S. 751; BR. 62; 2,1 S. 334
(5) MNEMOSYNE 1. Fass.; St.A. 2,1 S. 193
(6) PRIN MEN (IV.); Göttingen 1798
(7) Stuttgart 1957, IV, S. 62: 'Viel haben sich unterwunden…'
(8) St.A. 4,1 S. 221f.