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Clavis Hoelderliniana

15  Methoden

Wissenschaftlich indiskutabel sind Erläuterungen, die aus intuitivem Einverständnis sagen, was dies und jenes bedeute. In ihnen spiegelt sich die zweifelhafte Schönheit des Deuters, der sich nur im edelsten Krystall begaffen mag. Der subjektiven Spiegelung entspricht jene ideologische, die keineswegs objektiver ist, nur weil sie den Zeitgeist hinter sich weiß. Ihr müssen die subjektiven oder chauvinistischen Zerrbilder zur Rechtfertigung dienen. Besinnungslos an dem Strand, an dem die See sie ausspie, folgern sie ihre Makellosigkeit aus dem monströsen Gegenüber – auch dies mehr Verhängnis als System. Ernst zu nehmen ist der Archivarismus, der biographische Beträge zum Verständnis anliefert – und, ohne Ironie, wäre ohne diese sich selbst beschränkende Forschung kein Einblick möglich. Neben dieser diszipliniertesten Wissenschaftlichkeit lassen sich drei weitere Methoden unterscheiden: die kritisch vorbereitende, die aspektanalytische und die statistisch konkordierende. Die erste Methode befaßt sich mit den Richtlinien, nach denen ein für allemal das Terrain zu beackern sei und zeigt dies an einigen gewählten Beispielen. Die zweite Methode untersucht ein beliebig großes oder kleines Deteil im Binnenverhältnis und ordnet die gewonnenen Erkenntnisse in eine gewöhnlich am Schluß erschaute Tendenz ein. Nach diesem Muster entstehen zumeist Graduationsschriften. Entsprechend ist auch den freien Arbeiten die jeweilige Initiation anzumerken: Dissertationen und Habilitationen werden zum verzerrenden Faktor. Typisch für den Schematismus der Aspektanalyse sind Leitwörter oder Leitbegriffe, in deren Passepartout alles paßt. Die dritte Methode erschließt den Sinn der gedichteten Wörter durch Ermittlung von Fremdkonkordanzen und durch Wortfelduntersuchungen. Während Fremdkonkordanzen die systemlose Zufälligkeit von Lesefrüchten anhaftet, vermittelt das wortstatistische System technologischen Optimismus. Die Arbeitsthesen lauten etwa: Die Summe der Kontexte eines Wortes ergibt seine Bedeutung. Wird ein Wort mit verschiedenen Bedeutungen gebraucht, ergäbe sich dies aus der Verschiedenheit der verglichenen Kontexte. Verschiebt sich eine Bedeutung, so ist dies an der Verlagerung der Kontexte in eine bestimmte Richtung ablesbar. Schon Schopenhauer hat solche Syllogistik in sphärische Schemata (1) zu bringen versucht. Die Methode steht oder fällt mit dem Postulat, Hölderlins zweifellos binnenimmanente Sprache sei wie Traumsymbole ins Bewußtsein zu heben, in Normalsprache zu übertragen. Bezieht sich jedoch Hölderlins Code auf jenes zweite Chiffrensystem, das 'vester Buchstab' heißt, dann wären statt Geometrie der Begriffe Echolotungen vonnöten.

(1) D. W. a. W. u. V.: Bd. 1, 1. B. § 9