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ZITAT STATT REPLIK II - zu jochen hieber, der fall sattler (html 191 kb), frankfurter allgemeine zeitung, 13. august 2003

 

FRÖSCHE HABEN KEIN SCHICKSAL

 

XIV

frösche haben kein schicksal und leiden dran daß sie keins haben

fressen sich auf unternander und was allen übrigen wesen widrig

ist ihr höchstes vergnügen                                                           

loben mit tücke im herzen wenn einer sie nötigt zu loben

spiegelt ein schwan sich im teiche oder im fluge der habicht

rühren sie auf den teich und lachen des zerrbilds                                                           

doch das röhricht am ufer welches nichts besseres kennt als der

sperlinge schwarm lauscht dem gequake und glaubt dran                                                           

heute senkte die waage auf ihrer seite sich nieder während droben

die götter                                                           

göttinnen auf dem schoße den schönen seichten geschichten

der sterblichen sänger zuhörten                                                           

und eischnee selbander aßen das ist der seeligen speise welche

ambrosia heißt                                                           

sechs stunden langsam gebacken in lybischer sonne und aus hohen

gefäßen                                                           

nektar tranken aus milchiger gerste gewonnen und honig

aus süßklee gesaugt dicht bei der kastalischen quelle                                                           

also litten die frösche nach dem gerechten gesetz das alles

schnellstens ins lot bringt                                                           

sibyllinische unken blieben verschont und sanftbescheidene kröten

im erdmull verborgen welche ihr heilges gift schützt                                                           

 

XV

dennoch in luftiger gondel rauften den bart die gerechten

faßten sich an die nase                                                           

rangen über dem barhaupt die hände da sie auf abgeweideter wiese

das schröckliche ende ersahen der metaphorischen frösche

aber in gräben dazwischen waren nach willen der mutter

den quappen schon zehen gewachsen                                                           

kaum daß sie den molchschwanz verloren öffneten sie schon

das mäulchen der leichtbeweglichen luft                                                           

die das gequake fortträgt und mischt mit den stimmen der vögel

geduldig nämlich erharren die unmetaphorischen wesen soviele

von ihnen noch übrig                                                           

die entleerung der erde von erfindung der menschen

 

XVI

aber noch defilierten die schafe und jetzo aus früherer zeit

ein pudelspitz seltenster sorte am flachen podeste vorbei

zusammen mit einem kargen gespannhund die kläfften vertraulich

doch sie regte kein lid obgleich sie gar alles bemerkte

durch der wimpern                                                           

nicht ganz herabgelassenen vorhang und tat als ob sie nicht da wär

nach fakultäten gestaffelt mit dem gleichmäßigen dröhnen füllte

den unteren himmel der buchstabenähnliche kranich

begleitet von zwitschernden falken als ging es noch einmal nach

coventry oder dresden                                                           

danach dreieckig die schneegans von außen bekannt der schriften

seit mosis zeit und tutmosis                                                           

als ein namhafter frosch nachdem er den hinteren graben

durchschwommen                                                           

und überwunden den wall aus garten und küchenabfällen

die vordere tür doch erreichte                                                           

mit ihm sein taschenträger ein kleiner frosch aus bovenden

beide unter dem oben schon trocknen darunter jedoch noch

feuchten fladen der tragenden färse                                                           

juno rief sie mit namen der gummigestiefelte nachbar

hüpfend unter dem grünlichen schild als unter alberichs kappe

waren die zwei den gierigen störchen entgangen                                                           

so auch tragen olivenen drillich die armen soldaten

seit aus der mode die wunderschönen monturen                                                           

wenn sie vom scheibenschießen mit lautem gesang

zum kasernentor ziehen                                                           

winkt keine magd aus dem fenster und auch draußen im feld schützt

vor dem tode mitnichten die welke farbe des todes

so auch vor rachen und stachel jene zuletzt nicht der kuhdung

 

XVII

sie aber konnte des lachens nicht sich enthalten daß der

sich herbemühte                                                           

in ernst verkehrend den scherz des orakels

dem delphischen dreifuß entquollen oder dem kopf auftauchend

im dampf des schottischen kessels:                                                           

wenn mit quakender stimme der grünliche fladen der tragenden färse

vor dem türspalt erscheint hat ein ende das froschreich

aber das lachen vertrieb die falte zwischen den brauen

als zur breitmäuligen rede der fladen vor ihr sich anhob                                                           

und zwei geränderte augen zur spalte hinlugten der haustür

denn der gehilfe im dunkel stemmte den schutzschild einhändig

die andre hielt noch die tasche                                                           

angelernt von der münchner und den kusinen in hamburg

war er größeres hoffend zur tante nach frankfurt gekommen

rühmlich bekannt schon fürs wort allemal als general singularis

von keinmal                                                           

doch der ältre begann: panegyrische reden verbieten sich weil sie

bedeutendste deutsche poetin                                                           

nicht wie roswitha schon tot sind oder die große karschin

so mit törichter zunge                                                           

denn abseits stand tochter athene die doch besinnung verleiht

und gabe der überredung                                                           

diese senkte das helmhaupt er aber schielte noch immer

zur halbgeöffneten türe                                                           

wo sie den kopf zwar gelehnt am pfeiler nahe den angeln

doch nur äußerlich gleich der heilgen therese berninis denn es

wurmt sie im herzen der name der karschin                                                           

und redete stumm bei festgeschlossenen lippen:

weder im kniegang noch sprunge kommt der mir über die schwelle

nimmer sieht er die stube den tisch nicht und auch nicht das bette

und eben da er versprach ihr die spalten zu öffnen der tiefdruckbeilage

zog sie sachte die tür zu doch schnappte das schloß nicht

und fingerbreit blieb eine ritze                                                           

 

XVIII

aber den strahl eines liters destillierten champagners

welcher die nieren durchlaufen und in der starken blase gesammelt

vier finger gestreckt überm stall der falben manchesterhose

entsandte von oben der schiffer                                                           

drob kicherten siebzehn gerechte aber die andern siebzehn

rümpften grämlich die nase                                                           

hell erglänzte der bogen und wie die vom senkblei beschwerte

hanfschnur                                                           

fiel er herab und durchschlug beim ersten aufprall den schutzschild

nicht ganz genau in der mitte                                                           

obwohl ihn helios selbst der hüter freiweidender herden

schon provisorisch gehärtet                                                           

sinnend über die ferne zukunft der grünenden erde bildete er

ihn als leblose scheibe mit kratern und rissen inmitten                                                           

aber ringsum am rand wie das fleisch sanftäugiger wesen

brüllend an spießen sich wand in töpfen und pfannen der menschen

weil die das futter vermengt mit pulver aus abdeckereien

wie des odysseus gefährten nahe der heimat des sonnengotts

rinder geschlachtet                                                           

und in den wind geschlagen die warnung weshalb die vier winde

gleichzeitig zurück ihre schiffe geschleudert und keiner von ihnen

erreichte das winzige eiland ithaka                                                           

also bildete handlos der gott die menschliche torheit abwechselnd

mit schalen des unheils                                                           

rings um die wölbung des schildes nicht sonderlich deutlich

doch sichtbar mit dreifach vergrößernder lupe                                                           

ehe dies alles getilgt ward vom endlos scheinenden harnstrahl


IX

den gehilfen traf er zuerst entriß ihm die aktentasche und badete

ihn zum verderben                                                           

taufte ätzend alsdann auch den vorderen frosch der für den größten

sich hielt                                                           

was zirpst du mir grille ins ohr? nun gut ich sage nichts weiter

blitzenden auges und weithin leuchtenden schnurrbarts

tat es der schiffer und freute sich seiner kunst wie der salpetersaure

champagner die schollen zerbrochen des fladens                                                           

und wie auf dem grauen asphalt das grüne pigment sich verteilte

warf hinterher einen sonnenuhrzeiger den buchstaben A

diverse zahlen wie üblich ein X für ein U eine kugel und steinchen

auch zwei verstrebte beine des imaginären stuhles welche daneben

fielen                                                           

und einen goldenen ring den zog er vom finger nachdem er

das beinkleid sorgfältig geordnet                                                           

 

XX

vom parisbargesindel das guter dinge wie immer vollauf mit

anderm beschäftigt                                                           

merkt es einer und alles wirft sich auf einmal auf der gerechten seite

aber der schiffer sogleich faßt mit der rechten das tönende tragseil

am steven                                                           

mit der linken hand hascht er den hängenden griff der notbremse

ähnlich                                                           

in spielzeugzügen am ende der eisenzeit damals

als noch die reisenden nicht hermetisch verschlossen den raum

durchquerten in reinen vehikeln der zeitnot                                                           

und eilend löst er den anker denn es schnellten linksseitig

nach oben die taue                                                           

und um schlug die gondel wie unterm rialto zu dreist

der bräutigam nach der braut greift und diese errötend sich wegbiegt

daß jäh im trüben canale enden würde die lustfahrt

wenn nicht der gondoliere den ruderstab tief in den grund drückt

also kentert die gondel linksschwingend über die eider da jene

rechtshin sich drängen                                                           

und schüttet aus miteinander gerechte und ungerechte

doch über den stürzenden schießt pfeilschnell der ballon mit

dem künstler hinauf in höhere sphären                                                           

ruhig setzte sich der und hüllte sich ein in den schafspelz

und schaute wie zeus                                                           

nach den rasch sich verkleinernden dingen der erde

 

XXI

jene indessen versuchten mit händen rudernd zu fliegen

jedoch es trug sie die luft nicht und klagend kopfüber kopfunter

fielen sie in die eider wo eben                                                            

ihr grausames werk die raubenden fische vollbrachten

denn angelangt waren nun auch von westermühlen die frösche

wer mit eiligem fußstoß fast auf dem wasser hingleitend dem andern

ufer zustrebte den packten von hinten die hechte

verlassen den sitz nah bösbüttel eideraufwärts geschwommen

zum festmahl                                                           

obwohl er seit dreißig jahren die froschkost verschmäht ihr könig

neun starke fuß lang und siebzig englische pfund schwer

wie man den nächsten liebt war lieb ihm der pfündige döbel

und wie sich selber liebt er die goldene orfe wenn sie von gleichem

gewicht war denn er aß mit dem auge                                                           

größere lagen zu hart im magen und kleinere jagen war ihm

zu mühsam                                                           

der nun durchpflügte die flut mit geöffnetem rachen und klappte

ihn zu wenn zwölfe drinnen versammelt                                                           

und kurz war die predigt                                                           

welche aber im dunklen grund der eider abzuwarten gedachten

tauchten gradwegs in den schlund der schlammgeborenen welse

neun lagen sie nebeneinander genährt sonst von enten und ratten

und keiner wog unter vier zentner                                                           

 

 

XXII

aber nicht lange verweilten in gleißender sonne

des storchenschnabels gewärtig                                                           

sondern das weite suchten in langen angstvollen sätzen die beiden

entronnenen frösche                                                           

der jüngere links um das haus der andre rechtshin zum garten

und da sie zusammentrafen vor der hinteren türe fanden sie diese

versperrt vom schwarzen kalbgroßen hunde                                                           

vom alter gesegnet in wärmender sonne lag der gutmütig den kopf

auf den pfoten                                                           

tödlich jedoch erschraken die frösche das hadeszeichen erblickend

und mit trockener kehle sprach der größre zum kleinen:                                                           

laß uns gemeinsam entfliehen zum komposthaufen dort drüben

daß unter welkem salat wir und erbsenschoten die schützende

nacht doch erharren                                                           

dann ists nicht mehr weit bis zum graben und morgen sind wir

gerettet                                                           

ihm entgegnet der jüngre: mitnichten wirds uns mißlingen

wie manchen dichtern ihr leben                                                           

bis die sonne gesunken berg uns der wärmende kompost

doch hofft er die lenden zu retten unter des blumentopfs scherben

vorigen herbst zerschellt als sie von ziehenden vögeln ein weh

am himmel gelesen                                                           

da sie vor frost bewahren wollte den pfennigbaum und gesorgt

daß ihm nicht abbrächen die triebe                                                           

und sie ein lachen geschüttelt über den mutwill der wahrheit

eben wollten die springen der eine zum kompost der andre

seitwärts hin zum scherben des topfes                                                           

als vor ihnen das haupt die ringelnatterr erhob von glänzendem

weißgold die wangen                                                           

sagte sie finsteren augs: froschsohn jetzt bist du verloren

immer schon hat mich dein elendes quaken gestört im blaulichen

schilf spätabends                                                           

wenn ich auf einsamem bett des liebenden mannes gedachte

den ein mercedes aus frankfurt rechts vom weg überholend

den traktor des gummigestiefelten landmanns auf grüner wiese

zermalmte                                                           

 

XXIII

immer in dünnerer luft noch aufsteigend zog jetzt die leine

der künstler                                                           

leise zischend entwich dem ventil das heliumgas und es sank

der ballon                                                           

in der reglosen luft der honigduftenden gerste den elften tag vor jacobi

da seit druidischen zeiten zum segnenden himmel die fersen

ländliche mädchen erhoben                                                           

und hielten am brauch bis ins alter sofern der gatte an diesem tage

nicht achtet der niedergewälzeten halme                                                           

denn wahrlich schlimmer ist hagel und regelmäßig verschont blieb

das erntefeld mit der kuhle                                                           

doch so fleißig durchforschte das dreifach ausziehbare sehrohr

vom margarethenwall abwärts bewegte gebüsche und felder

gelb wie samländischer bernstein                                                           

es sah nur bei seeth die greisin wie mit dem stocke im gras

sie ihn sucht den versunkenen findling                                                           

dessen porphyrenes haupt ihnen oftmals die stelle gewiesen

doch regnete es jenes tags so ward unter schauenden rossen

das runde fenster geöffnet der häuslichen rumpelkammer

umgelegt der mächtige schrank mit dem rotblauen inlet des winters

ausgebreitet wie flügel die türen und es erfreut sich schneeweiß

die eiderdünische venus                                                           

aber mit bloßem auge erkennt der luftschiffer jetzt die passagiere

der gondel beidseits das ufer gewinnen                                                           

sieht sich zerstreuen übers gefild nach heide zu und nach husum

der hauptstadt verzogene kinder und die immerdar gleiche

zahl der gerechten                                                           

dann mit dem leichten ruder am strand von java gefertigt zu fächeln

dem könig von siam                                                           

manövriert er das luftschiff über die straße vorm garten

lockert nun siebzehn ruten über normalnull die leine des sinkventils

und es schließt sogleich die fontanelle im scheitel                                                           

 

XXIV

jetzt aus selbsttragender loge den salto rückwärts der frösche sieht

er genau und wie sie nebeneinander im gleichsprung entfliehen

verfolgt von der riesigen natter sechs hessische fuß lang und

hinterm kopfe so stark daß den hals eine zwei finger umfaßten

dreimal umkreisten das haus die springenden frösche aus furcht vor

der gleitenden schlange                                                           

dreimal warfen sie flehende blicke zur spaltbreit geöffneten türe

aber wie hera der stadt des schöngegliederten paris zürnte

die dichterin sehr den mancherlei quakenden lurchen                                                           

hinter dem fallenden haar ist düster die stirne und grimmig funkeln

die augen                                                           

darum beim vierten male die lücke vor augen des scherben

der umgestürzt dalag                                                           

sprach mit bebender stimme rechterhand flüchtend der jüngre:

laß uns dicht beieinander die natter erwarten und schießt sie heran

so springen wir auseinander                                                           

unter die scherbe dort ich und du zum rettenden kompost

eh sie sich umgewendet sind wir beide verschwunden                                                           

dachte aber im herzen es würde die schlange den ältren noch vor

dem haufen ereilen                                                           

jener dagegen erwog wie ohne ausflucht das nahe versteck und

überdies leicht zu erraten                                                           

und sprach mit trockener kehle: versuchen wir unser glück

zwischen den springenden fröschen hindurch

schießt die schlange und warf sich nach links gleich                                                           

und haschte im dritten sprunge an den gestreckten füßen

den ältren über den wachsenden bohnen                                                           

verschlingt ihn obgleich er noch quarrt und würgt ihn wieder heraus

er schmeckte nach einem bellini gemixt mit fauligem pfirsich

der andere aber frohlockte zu früh denn er saß auf dem eingang

zur stadt der furchtbar stechenden wespen                                                           

aber indessen ist ein schwarzer mond vor die sonne getreten

schatten liegt über dem land und gedrängt aneinander

angstvoll auf straße und deich stehen schafe und wölfe

heimgekehrt zu den nestern bedecken erschrockene störche ihre

brut mit den flügeln                                                           

einkehren heimschwimmend die hechte bei erlenwurzeln zu schlafen

und welche tropfnaß dem bahnhof in husum und heide zueilen

vergessen beinah zu atmen                                                           

nur die unförmigen welse den schlammgrund aufrührend ziehen

noch langsam stromaufwärts                                                           

gegen den wind der jetzt aufkommt lehnen sich klagende knaben

die hier spazierengingen                                                           

erst in die eine dann in die andere richtung

der bildende künstler wirft ab von jute den beutel und wie

den fernet der adler                                                           

trägt ihn die nächstbeste luft hinunter nach passau und weiter

aber die blaue diesellok rattert mit dem mitropawaggon

rückwärts zurück in ihr kleines erkältetes land                                                           

 

aus: d e sattler, am euphrat (html 44 kb); vollstaendig: fête champêtre (pdf 86 kb)