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ZITAT STATT REPLIK I - zu michael buselmeier, hoelderlin. zeitschriftenschau (html 170 kb), freitag 33. die ost-west-wochenzeitung, 8. august 2003


IN DIESEM KURZEN LEBEN ES SELBER RICHTIGSTELLEN

 

d e sattler, apoll envers terre

 

I

daß der abwesende gott da sein könnte in seuchengestalt

und verzweiflung                                                           

ist darum der undenkbarste gedanke weil sein verleugnetes dasein

sich bemerkbar macht als reflex der verleugnung                                                           

diese aber hat keine moralische qualität

sie ist reaktion auf das furchtbare selbst auf die gefangenschaft

im inneren einer ratlos stürzenden gechichte

dem verleugnenden korrespondiert zwangsläufig

das furchtbare in gedanken und taten                                                           

eine bedenkenlosigkeit die nichts aufhält die darum auch

vor nichts mehr halt macht                                                           

nicht vor körpern und erst recht nicht vor wörtern

 

II

der moralische unterschied der in zivilisierter gegend

oder in rezivilisierter wie unsrer gemacht wird                                                           

zwischen gewalt an körpern und wörtern ist selber gewaltsam

bei gleicher bereitschaft zum übergriff unterscheiden sich nur

fähigkeiten und verfügbare mittel                                                           

ich spreche bildlos von bildern der realgegenwärtigen hölle

ein denken nämlich das die gewalt an körpern verurteilt

hingegen gewalt an wörtern als unerheblich abtut und damit

vorschub leistet verfälschung und mißbrauch                                                           

ist selbst atavistisch und jagt in untiefen des meers

es übergeht den auch ohne logische schule verständlichen

grundsatz der kausalität                                                           

daß jeder untat vorhergeht der schlimme gedanke und nachfolgt

in transzendentaler mechanik die reue

und an der straße liegt dan

 

III

nicht erst der tödliche finger der oben im blau das bleierne epha

ausklinkt                                                           

nicht erst der kurze befehl im verschloßnen kuvert

sondern der philosophaster und die pipette im dienst der vernichtung

so etwas wie ein freibrief der das gewissen löscht für den zweck

der die mittel heiligt löst das verderben aus                                                           

doppelt so lang wie breit wie die halle am tempel wo sie feilhielten

die tauben                                                           

wo sie erschlugen den der es fliegen sah das übergewicht

von verhältnissen über die menschen                                                           

mit silberstift vorgegeben und ausgeschlossen mit schrauben

jetzt leichthin aufgezogen                                                           

den rahmen des texts der das wort bricht

 

IV

der universale block

sagte einer und hielt negativ es fest was uns den atem nimmt

kollektive verblendung die handelt mit unheil und unheil verwaltet

zu allem bereit für zwei nullen mehr hinter der zahl                                                           

nach dessen tod die vögel von den halden in städte kamen

und sich in den straßen das elend ausbreitet der ausgestoßnen

und hoch im ruin steigt der kurs der denaturierungsfabriken

und der geldheckerbanken                                                           

und wer sich freikauft darf weiter den himmel verqualmen

und durchs ozonloch jettet sichs schneller zu hungerödemen

und plastikpalmen                                                           

und ihre kinder setzen sie aus dem fiesen gehäuse

und machen sie süchtig nach todesspielen                                                           

o daß dein zorn nicht über dem allen entbrenne

gib das zweischneidige wort                                                           

nachts schreck sie und tags laß sie kosten woran sie verdienen

zerbrich das glas in der hand                                                           

 

V

vergib die zeitliche rede

der du auch schlummer versucht als wir verderbliches aßen

und achteten nicht des verbots

am nachmittag zwischen den bächen gihon und pischon

und strömen hiddekel und phrath                                                           

und fandst uns in der abendkühle verändert

und schliefst sechs stunden unruhig und voller gesicht

nachdem du uns ausgestoßen aufs feld und den garten verwahrt

aber vögel bemerken die stunde und nicht mehr lange erwachst du

wenn ausgeträumt ist der verworrene traum und ungedachte

gedanken sich regen                                                           

als auf noch unaufgefundnen inseln unter dem winde

schenkst du hesperische freuden                                                           

henochstille augengenau

 

VI

aber widerwärtiges geschrei und flügelklatschen greuliches geräusch

der krallen mußte tiresias hören                                                           

aussprechen was es bedeutet und abgehn beschimpft

denn alles verdrängend allem beiliegt in thebes hitze gewißheit

bis augenzeugen eintreffen schnell aufeinander folgend

in mythischer analyse                                                            

und an der hand weggeht des untherapierbaren mädchens

der eigenmächtige mann jetzt tiresiasähnlich                                                           

 

VII

so vergiftet den tag ein grelles heer von skorpionen

den lärmenden vögeln gleich die aus den sumpfwäldern kamen

die wegzuscheuchen athene erfand die eherne klapper

und mit unfehlbarem pfeil herakles schoß in den schwarm                                                           

nicht sehr bedeutend nur lästig war diese arbeit denn eine zeitlang

zu gleicher zeit täglich waren sie da                                                           

häßlicher schien eine andre denn des augias verkommenen stall

ausmisten sollte der zeussohn doch gab es krieg hinterher

denn es verdroß augias daß er die gabel stehn ließ und aufriß

die dämme                                                           

des einbringers alpheios und des bereiters peneios

so daß die befreiten ströme mit gedoppelter flut abwuschen

den unrat von elis                                                           

 

VIII

die aber niederfielen auf den tisch nach sonnenuntergang

wo ausgeblutet ziege kuh und widder beieinander lagen unkenntlich

alle drei                                                           

zerstückelt aufgehäuft und zwei haufen gegeneinander

dazu zwei turteltauben rechts und links                                                           

im netz gefangen die ältre die junge aus dem nest geholt

und beide für silber erkauft in der halle vorm tempel

die zarte gutwillig dem priester die zähe den zähnen des sünders

doch dem der abwesend thront in der klarheit verbrannt wird

das weißliche fett                                                           

und der stinkende rest gekarrt mit der asche hinter die stadt

die niederfielen auf den opfertisch der erde

die vögel welche abraham verscheuchte bevor ihn schlaf

und finsternis und schrecken überfiel                                                           

da zornig eine stimme mit ihm redet und er den ofen rauchen

und zwischen den stücken hinfahren sah das feuer

die waren verabscheut des schimpfes wegen und greuels mit namen

nicht nennbar                                                           

 

IX

wie von verzweigtem geäst spricht der geist vom geist

im ernst nicht von mauern zerstörbarer städte

sondern von redenden namen                                                           

von wortkatastrophen und mutation des bewußtseins

und mittelbar nur von erschütterter erde und krieg

was seine wahrheit beweist: apokalyptisch verhunzt ist der text

der jerusalembibeln                                                           

und bodenlos falsch die beigefügte erklärung

kaum entsorgbare meiler aus denen die strahlung austritt

die andre unsichtbare wolke in welcher der zorn wuchs und

ausgoß die plagen                                                           

 

X

fast schon verdorben vom schlauen wesen

nicht klug in ruhe zu leben doch dreist genug vernunftbegabt

sich zu nennen                                                           

denn aus der gosse steigt es am höchsten

und dann erst heißt sie die gosse und dann erst ist sie ansteckend

was du am mittwoch hinüber gesagt hast vom ölberg

zum verschwundenen tempel                                                           

den fehl anzeigend der zeit die lämmer mit fleischmehl mästet

und wolfsmilch den kindern einflößt                                                           

daß um das aas sich die adler sammeln

da haben zu geiern gewordene geister hingesetzt ihren namen

als habe habakuk das nicht gewußt und nicht der reinliche ezechiel

nicht daniel am ufer des hiddekel daß sich vom toten nicht

die geister nähren                                                           

zwecklos zu rufen: widerruft!

ich muß in diesem kurzen leben es selber richtigstellen

auf das verwüstete zeigen und sühnen so gut ein fehlbarer kann

 

XI

wie herakles im hinterhalt erlauert die molionen

nicht anders zu bezwingen von einem denn zusammenhingen die

wie kettenglieder                                                           

und hatten aufgerieben sein tirynthisches heer im weiten elis

allein jetzt kommend wegen des lohns den ihm augias vorenthalten

obwohl doch das werk die ströme nicht ohne sein zutun getan

so fallen auch wir in die hände des worts das hereinstürzen wird

wie durch einen riß in der mauer                                                           

 

XII

ich zog einen strich am strand des meers und trat auf die andre seite

ich legte mich in den schnee und breitete die arme aus wie flügel

im stelzengraben war das nah meiner ersten quelle                                                           

bevor die ilm kommt vorletztes rinnsal zur saale

an treppen tief des angerbrunnens hab ich noch wasser geschöpft

für den garten im dorf                                                           

den diagonal jetzt die straße durchschneidet

im hölzchen das seume entlangging bauten wir hütten aus laub

und träumten den rest des septembers drinnen zu sitzen

gesetzesfreude zu feiern träum ich noch jetzt                                                           

das haus zerfiel zwei steinwürfe weit von der mündung

wo ich die achse summen sah und zittern und weit und weiter

ausschlagen des rades                                                           

eine allee sich aufrollen wie nassen schnee mit allem was drauf war

 

XIII

versetzt dann an anderen ort im gelben zimmer das feuer

und daraus undeutbar vier worte und erwarte den tag

will auch das zornige tilgen                                                           

doch wie mein empörtes herz mir durchschlägt in sätze

das kann ich für heute nicht ändern                                                           

aber das schellenas war auf dem himmelreich

und drüben über verwittertem kalk ruinen der alten geschichte

auseinandergerückt ihr zweischläfriges bett                                                           

wenn morgen einer nach mir fragt

ich bin durch die wand in die berge der wintermantel hängt noch

im schrank                                                           

 

XIV

das licht fällt von der falschen seite herein hier in der verhangenen

kammer                                                           

wo ich den rücken zum licht anstarre bewegte schatten

o licht an deiner tafel gespeist                                                           

in schutt geworfen und hochgehoben von ein und derselben welle

hinaufgezogen zur schulter des lands                                                           

in dem ich ein fürst bin der sprache mächtig der mütterlichkühnen

denn gründlich hab ich gelernt und furchtlos bin ich

nicht achtend den schaum der obenauf schwimmt auf geduldigem

wasser                                                           

 

XV

ungerecht will ich nicht sein: ganz schlecht ist nur wie ihr es tut

nach schlechtem gesetz und erschlichenem auftrag                                                           

ich ertrag euch wie alle die schweigen und wählen wo keine wahl ist

wie abgas und unentrinnbares dröhnen                                                           

die ihr dem himmel mißfallt und unter bürgern nicht gut seid

das rednertalent kein ausweis erst recht nicht der bloße beschluß

im wortlaut unwiederholbar                                                           

schon eure karriere ist mies durch hinterzimmer und vorstadtsäle

der eintritt in eine partei schon an sich und nach allem anrüchig

die kunst des ellbogenkampfs der list und lüge gelernt in dieser

schule der bosheit die ihr mit eignung verwechselt                                                           

und weggeworfen die jugend gleich nach der kindheit

wie könnte neues wagen der schnellausgelernte und ein listiges herz

ein besseres wollen?                                                           

die welt durch euresgleichen geworden so wie sie ist kann sich

euch nicht mehr leisten                                                           

 

XVI

auch wenn nicht einer dem anderen gleicht und bessre auch hier

von schlechteren sich unterscheiden                                                           

doch ist es der kadercharakter der vor andern sich durchsetzt

was ihr redlichen denkt ist nicht wahr sie sind nicht allein geeignet

mit eurer stimme zu reden und über euch weg zu entscheiden

obgleich ihr schlechtes beispiel verderbend wirkte die zeit durch

gleicht ihnen die mehrheit doch nicht                                                           

offen der abgrund zwischen bürgern und ämtern

zwischen dem öffentlichen als frei zu erwägender sache

und dem willen zur macht                                                           

der selbstermächtigten mit dem parteiabzeichen unterm revers

das verfahren muß falsch sein das diese auslese erlaubt

 

XVII

das spiel ist so falsch wie die regeln wenn die voraussicht fehlte

oder die absicht falsch war derer die sie festlegten                                                           

fichte zum beispiel fehlte die vorstellungskraft sich vorzustellen

was geschah als seiner probe einer künftig zu liefernden politik

dem geschlossenen handelsstaat                                                           

hände angewachsen waren und denen genügend waffen

als aufgekommen nach deutschlands erstem abgott ein zweiter

den offenen munds zu hören und nachzulaufen das volk

der klassikerschränke indessen ausreichend geübt war                                                           

einer mit bissigen hunden ein falscher hirt vom grenzland

der bairischen ebne als redner fähig zur macht                                                            

der macht die schreckliche probe

 

XVIII

gründet eine partei mit wilden genossen und liefert buchstäblich an

was der vorredner deutscher hybris der praktisch gewordne

kantepigone beim führer des dritten reiches bestellte                                                           

indem er zuerst den konsum ausländischer ware einschränkte

sodann das gold im lande an sich riß mit einem schlag

und flüssig dergestalt erz kaufte und sich rüstete                                                           

daß ihm kein nennenswerter widerstand geleistet werden könne

wenn jetzt das reich einrückt in seine natürlichen grenzen

so daß diese operation mehr ein occupationszug sey als ein krieg

worauf dieser staat oder einer danach seine grenzen schlösse

und den verkehr mit dem ausland abbräche                                                           

wobei zum besten der menschheit nur noch gelehrten und höheren

künstlern das reisen zu gestatten sei                                                           

eine beträchtliche emigration setzt er hinzu wäre höchstens

im anfange zu befürchten                                                           

von personen welchen die neue ordnung welche allein wahre ordnung

lästig drückend pedantisch vorkommen würde                                                           

an ihren personen verliert der staat nichts –

wehe den wertlosen dann sofern sie nicht emigrierten                                                           

 

XIX

zweihundertfünfzigtausend lettern aus blei gefischt aus dem

setzerkasten                                                           

im winkelhaken zu zeilen gereiht und ausgebunden mit stricken

auf eisernen schiffen                                                           

mit druckerschwärze eingewalzt und gedruckt mit der arme gewalt

und maschinen auf fasern von haderlumpen                                                           

jede für sich unschuldig steht für ein massengrab

 

XIX

vergorene suppen wie diese hält dieses land viele bereit

das draußen noch immer nach seinem götzen sich nennt und hält

die ohren sich zu wenn du auf den zusammenhang kommst

von führerwahn und götzenverehrung                                                           

und duldet das mal parteischen denkens

genossenbonus bei allen geschäften und angepaßtheit ist

kleidervorschrift in allen etagen                                                           

und hörst du daß einer ausgeht von etwas so weißt dus genau:

die blödsinnige wendung verrät mit törne zu reden

den unbeweglichen arsch der festsitzt am falschen platz                                                           

 

XX

ekle hantierung mit abgezognen begriffen

jean paul zerpflückt sie im komischen anhang am schluß des titan

der nach den principien der wissenschaftslehre entwickelte satz

daß deshalb das weib zur ausübung freier bürgerrechte nicht tauge

weil es nicht freien könne                                                           

veranlaßt heinrich von kleist zum trauerspiel penthesilea

und friedrich hölderlin im folioheft abzubüßenden namens:

gut ist das gesezt ist aber eines das ficht uns an

anhang der bringt uns fast um heiligen geist barbaren auch leben wo

allein herrschet sonne und mond gott aber hält uns wenn

zu sehn ist einer der wolle umkehren mein vaterland

 

XXI

das wort liegt im abfall der goebbelsausgabe und fehlt noch

im klassikerschwindel mit goldrand                                                           

weil es selber verwirrt verwirrbare kinder verwirren könnte

sagen biegsame kinder von eltern die eine gesellschaft gründeten

nach stalingrad im namen des vaterlands                                                           

und lynchten noch einmal das wort vom vaterland des hebräerbriefs

und söhnlein die zu haus geblieben nahmen sich was ihnen paßte

und ihre väter führten den gesang im munde als ob er fichtes staat

im untergang noch retten könnte                                                           

und warfen hinter büchern feig geduckt und auf podesten dröhnend

andrer mütter kinder in das letzte aufgebot                                                           

und über tübingens dächer hinzog das geigenspiel der gesparten

und immer noch rücken sie nach und halten fest mit klauen

und mit schnäbeln am text der gestern opportun war                                                           

aber zuletzt das gezeter beweist daß du trafst mit der zwille

stiller wirds endlich am strom der die finger gesehn aus dem brand

und das schütteln des nassen haupts                                                           

schon zweimal untergetaucht nahe dabei an der mauer

 

XXII

was nur sich bündeln muß um irgendwie emporzukommen

wo hinterlist regiert und dummheit laut trompetet

muß nur mit fingern rückwärts oder seitwärts zeigen um sich

im recht zu wähnen                                                           

saurierblut in den adern klumpig vom langen schlaf

nur auf der geldjagd dünnflüssig                                                           

schmutziger film in der ebne und verdorrtes gebüsch am abhang

das vom funken nichts weiß                                                           

und weißer asche hinwehend über verbrannter erde

die herrschaft des dornbuschs ist das vom berg vertilgung

hinübergeschrien nach sichem                                                           

 

aus: d e sattler, am euphrat (html 44 kb); zuerst in: text : kritische beitraege 1, 1995; die noch stark abweichende version hat nach XIII diese beiden abschnitte:

 

VII

milchstraßen hab ich durchschweift   daß ich euch sprechen hörte.

jetzt sprecht ihr der sprache kundig   und haltet mich auf und reizt mich

mit vorsichtigem gerede.                                                           

dafür habt ihr an meiner tafel nicht gegessen   daß ihr mir jetzt gesättigt sagt

wir müssen so und können nicht anders.                                                           

wer pflanzt gedanken euch ein? wer funkelt euch an   wenn ihr abweicht?

seid ihr es   oder bin ichs   ein nicht verzehrendes feuer?

 

VIII

hölderlin lesen

ohne sich niederzubücken   ohne sich aufzurichten?

meint ihr   das ginge im vorübergehn   so wie ihr an wochenenden

tiere betrachtet in käfigen oder gehegen?                                                           

oder wie wärter sie kennen   oder bewaffnete wächter

in außerhalb liegenden lagern?                                                           

ihr elenden   das geht nicht.

das ist nicht literatur   die schuhe aus

eleuqerai!