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an rené stockmar zu 'nietzsche werke. kritische gesamtausgabe
IX/1-3'
dr. h.c. D E Sattler
arbeitsstelle historisch-kritische Hölderlin-ausgabe Rutenstraße 8 28203 Bremen
herrn
René Stockmar
Basel
Schweiz
18. april 2002
sehr geehrter herr Stockmar,
ja, ganz herzlichen dank für das kostbare geschenk der ersten
drei teilbände zu den notizheften, 'Nietzsche Werke. Kritische
Gesamtausgabe IX/1-3', die, editorisch gesehen, wirklich etwas
für sich sind; als Sie mir erste proben zu dieser arbeit
zuschickten, erlaubte ich mir, wenn ich mich recht erinnere,
einige kritische sätze zu den im computersatz liegenden
versuchungen, setzte aber hinzu, daß für jeden autor,
oder besser für die spezifischen besonderheiten seines werks,
die adäquate editionsform gefunden werden müsse; dies
ist den herausgebern gelungen, zumal sie aus dem vollen schöpfen
konnten, da der verlag, was den mehrfarbigen druck angeht, nicht
sparen mußte
ich schreibe dies, obwohl ich, nach meiner herkunft, eher dem
'weniger ist mehr' der werkbund-gesinnung verpflichtet bin und
die differenzierte umschrift meiner historisch-kritischen Hölderlin-ausgabe
ernst machen durfte mit dem satz, daß der typographische
satz die handschrift nicht nachbilden müsse, wenn diese
faksimiliert vorliegt; in diesem fall zeigen sich auch grenzen
und redundanz der mimetischen methode, der Sie doch weitgehend
folgen, obwohl die editorische vorbemerkung gleich zu anfang
eine andere richtung angibt; es entstehen mit den unterlegten
seiten und segmenten, den differenzierten schriftfarben typographische
bilder, die zwar dem analytischen bedürfnis, nach schichtentrennung
und bedingt auch der nachbildung des schreibvorgangs, genüge
tun, andererseits aber in ihrer bildhaftigkeit ablenken von der
denkbewegung selbst sichtbar in der kristallin reduzierten
schrift Friedrich Nietzsches; so äußert sich Hölderlin
kritisch zur tendenziellen 'Galanterie' des schönen Walbaum-drucks
der Sophokles-tragödien; in der sprache des gesangs: 'Denn
unter dem Maaße / Des Rohen brauchet es auch / Damit das
Reine sich kenne.'
aber das ist ein rezeptionsästhetisches argument, dessen
stringenz vielleicht erst deutlich wird, wenn der überdruß
an den mitteln der werbewelt in sinnlicher weise, als ekel, ins
bewußtsein tritt
nach meinem verständnis soll eine umschrift die handschrift
in druckgerechter umsetzung lesbar machen; nach dieser maxime
erscheint mir die partielle ausgliederung von überlagertem
text inkonsequent, weil sie den genetischen zusammenhang einer
früheren formulierung und auch die unmittelbarkeit von sofortkorrekturen
aufhebt; ebenso läßt sich gegen die nachbildung von
streichungen einwenden, daß sie zwar die letztintendierte
oberfläche der handschrift verdeutlicht, andererseits aber
den eigenwert dieser aufgegebenen, zuvor aber als gültig
gedachten schichten der niederschrift schmälert; diese überlegungen
sind freilich im zusammenhang meines editorischen modells zu
lesen, in welchem nicht nur die komplexe handschrift oder der
letzte text, sondern auch die textzustände im sinne von
andrucken' ediert werden
soweit ich sehe, war es aber Ihre aufgabe, das komplexe textbild
jener durch redigierte fassungen desavouierten notizbücher
auf integrale weise zu edieren; das ist Ihnen meines erachtens
gelungen
noch gut erinnere ich mich, wie Mazzino Montinari mich 1975 oder
1976 auf der Frankfurter buchmesse fragte, ob ich nicht mit ihm
den von Ihnen jetzt edierten werkteil, und zwar nach dem eben
vorgestellten modell, herausgeben wolle; ich denke, das wäre
auch sehr gut gegangen; doch fühlte ich wohl, daß
mich das zugleich beider aufgaben überfordert hätte
fasziniert bin ich von der qualität der handschriftenwiedergabe
auf der beiliegenden CD-ROM, und auch gegen den einband habe
ich nichts einzuwenden; mit seiner in maßen historisierenden
schrift verweist er auf nebentöne und umstände der
frühen publikationen; das mußte vielleicht nicht sein,
ist aber irgendwie wahrhaftig; ich halte die ausgabe von 1899
dagegen, die ich als 19jähriger erwarb, und bins zufrieden
mit freundlichen grüßen und guten wünschen für
den fortgang der arbeit bin ich
Ihr
D E Sattler
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