/ rezensionen korrespondenz / korrespondenz 2002 /


an professor luigi reitani, 6. maerz 2002
mit der vorangegangenen korrespondenz

1. 3. 2002
To: des
From: Luigi Reitani
Subject: Hölderlin in Italien

Sehr geehrter Herr Sattler,
seit Jahren verfolge ich Ihre Arbeit mit Interesse und großer Bewunderung: Ihre Frankfurter Ausgabe stellt einen Wendepunkt nicht nur für die Hölderlin-Forschung, sondern auch für die gesamte deutsche Philologie dar. Es war für mich deshalb besonders schmerzhaft, feststellen zu müssen, dass Sie sich durch meine italienische Studienausgabe angegriffen fühlten. Sie werden verstehen, dass ich mich auf die Argumente und Spekulationen, mit denen Sie mich und Herrn Prof. Groddeck konfrontieren, nicht einlassen will. Grundsätzlich möchte ich aber Folgendes präzisieren:
1. Eine Vielfalt an Editionen, die von verschiedenen Kriterien ausgehen, sollte von den Hölderlin-Lesern und Forschern als Gewinn betrachtet werden.
2. In keiner Hinsicht wollte ich einen philologischen Krieg initiieren. Meine Studienausgabe wäre ohne die Ergebnisse Ihrer Edition undenkbar. Wenn ich dennoch andere Wege gegangen bin, so lag dies an dem Versuch, im Rahmen einer Übersetzung in eine fremde Sprache gewisse – durchaus produktive – Aporien Ihrer Arbeit zu überwinden. Auch will meine Edition keine historisch-kritische Ausgabe sein.
3. Den Vorschlag, deutschen Lesern meine Edition zugänglich zu machen, betrachte ich natürlich als eine große Ehre. Meine Absicht war aber von Anfang an nur, Hölderlin in Italien durch eine neue Übersetzung bekannt zu machen. Es bestand und besteht im Moment absolut kein Kontakt mit deutschsprachigen Verlagen.
Dass Sie meine Ausgabe kaufen wollen, ist für mich fast erschütternd. Natürlich habe ich sofort veranlasst, dass Sie vom Verlag ein Exemplar erhalten.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Luigi Reitani
-------------------------
Prof. Luigi Reitani
Università degli Studi di Udine
Dipartimento di Lingue e Letterature Germaniche e Romanze


4. 3. 2002
To: Luigi Reitani
From: des
Subject: Re: Hölderlin in Italien

sehr geehrter herr Reitani,
vielen dank für Hölderlin, tutte le liriche, die ich mit Ihrer ins deutsche übersetzten einleitung vom verlag erhielt; es ist Ihnen vermutlich bekannt, daß ich die korrespondenz zur edition als öffentliche sache ansehe und seit beginn dieses jahres ins internet stelle; bevor ich Ihnen kurz und hoffentlich in Ihrem sinne antworte, möchte ich mich doch vergewissern, ob Sie damit einverstanden sind
mit freundlichen grüßen
D. E. Sattler


4. 3. 2002
To: des
From: Luigi Reitani
Subject: Re: Hölderlin in Italien

Sehr geehrter Herr Sattler,
danke für Ihr Mail; gegen eine Veröffentlichung unserer Korrespondenz ins Internet habe ich nichts einzuwenden.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Luigi Reitani


6. 3. 2002
To: Luigi Reitani
From: des
Subject: Hölderlin in Deutschland

sehr geehrter herr Reitani,
von Ihrer kommentierten und überdies zweisprachig vorgelegten italienischen studienausgabe des lyrischen werks Hölderlins konnte ich mich nicht angegriffen fühlen, bevor ich sie kannte, erst recht nicht, nachdem sie mir vorliegt und ich die geleistete arbeit ermessen kann; mit gelassenheit habe ich auch aus meiner sicht voreilige bemerkungen in Ihrer sonst überhaupt nicht zu beanstandenden rezension von FHA supplement I zur kenntnis genommen; wenn ich es richtig verstand, bemängelten Sie die geplante aufnahme des marginalsegments 'Aber die Sprache…' in die bände 7/8 'gesänge', ohne deren konzept und auch dessen dort dargelegte funktion in der genese von 'Einst hab ich die Muse gefragt…' zu kennen; ebenso erreichte mich Ihre 'Ganymed'-miszelle in der zeitschrift des Stroemfeld verlags und des institus für textkritik e.v. (dem ich angehöre) bei der vorbereitung jener beiden bände, in welchen die potentiell durch druckfehler und redaktion entstellten erstdrucke unverändert geboten und durch die marginal wiedergegebenen abweichungen von der handschrift und anderen quellen relativiert werden; unabhängig von der einzelfrage d: 'Ziel' oder hs: 'Spiel' schärfte Ihr beitrag den blick für das editorische problem; da ich nicht zu den herausgebern gehöre, durfte ich mich noch nicht einmal wundern, daß ich nicht vorher von Ihrer mich besonders interessierenden 'entdeckung' informiert wurde
ich mußte zwar die von mir schon 1972 konzipierte edition gegen die geltende Stuttgarter ausgabe durchsetzen, und dieser prozeß ist bis heute noch nicht abgeschlossen; doch war das von meiner seite kein philologischer krieg, sondern der legitime, nicht überall sogleich gelingende versuch, editorische methode und erkenntnisstand zu verbessern; in diesem sinn habe ich in den dreißig jahren meiner arbeit andre arbeiten nicht rezensiert, noch angegriffen; einzig auf Jochen Schmidts tötungsversuch 'Eigenhändig aber verblutete er' habe ich mit einer scharfen, wie ich denke, in der sache fundierten gegendarstellung reagiert; ein mann vom fach bin ich während dieser zeit nicht geworden; die mit heimtücke oder aggressivität geführten federkriege unter dem entlaubten mast der 'philologen' sind mir zutiefst zuwider, und ich freue mich auf den tag, an dem ich diese mir fremde sphäre verlassen darf
so bestürzten, verstörten mich nur die umstände, unter denen mir Ihre edition bekannt wurde; sie haben überhaupt nichts mit Ihnen zu tun; sie gehören zu den warnenden zeichen, die mir nahelegen, mich aus nicht mehr tragbaren verhältnissen so bald als möglich zu entfernen; weiteres ist dem Ihnen zugänglichen bericht 'zur lage' zu entnehmen; genug also der gegenseitigen klarstellungen – meine zeit ist knapper bemessen denn je
mit freundlichen grüßen
D E Sattler