/ rezensionen korrespondenz
/ diskussion /
POSITIONEN
II / 8-14
RR 'Die
Bände 7/8 sind von der Öffentlichkeit [
] teleologisch
auf diese Bände zu?'; 6 zeilen; unterstellt, die eben
erschienenen baende seien 'von Sattler selbst als der Schluß-
oder zumindest der Eckstein im Gewölbe seiner Edition aufgefaßt
worden'; dadurch seien sie 'mit einem Status versehen worden,
der die Arbeit mit ihnen nicht unbedingt erleichtert'; fuegt
daran die frage, ob sie sich ins 'Gefüge der Bände'
einordnen, ob es 'markante Differenzen' gebe, oder ob alles auf
diese 'teleologisch' zugearbeitet habe
8 STATUS UND BEWUSSTSEINSNOT
schon mit dem einleitungsband von 1975 wurde, mit noch unzureichenden
mitteln, gezeigt, dasz von der edition der gesaenge (im 'Editionsplan'
angekuendigt als band 11/12 'Gesänge und Paralipomena')
die augenfaelligsten abweichungen von den bisherigen ausgaben
zu erwarten waren; im unterschied zu anderen, die sich gegenstaenden
dieser schwierigkeit ohne umschweife und in jugendlichem alter
zuwenden, schien mir geboten, vor deren edition zunaechst die
kenntnis des ganzen und das editorische instrumentarium zu gewinnen;
gleichwohl glaube ich sagen zu duerfen, dasz ich mich jedem der
vor mir liegenden baende mit gleicher intensitaet gewidmet habe;
die besondere, mit den jetzt erschienenen baenden verbundene
erwartung liegt in den gesaengen selbst; der von roland reusz
konstruierte, die arbeit mit ihnen erschwerende status wurde
demnach von auszen an sie herangetragen; ich habe also zu fragen,
welche schon im vorfeld ihres erscheinens entstandenen spannungen
zu den hier nur angedeuteten, im verlauf des gespraechs deutlicher
hervortretenden vorbehalten fuehrten; zunaechst duerfte es mein
eigener status sein, der, nach der gesellschaftlichen gepraegtheit
des begriffs, ein nicht-status ist; ohne meister zu sein, habe
ich nachahmer gefunden, die auf kuerzerem wege schneller fertig
waren mit der systematisierung ihrer verfahrungsweisen und ueberzeugungen,
waehrend ich mich, unter den augen der oeffentlichkeit und immer
noch im status des lernenden, weiterentwickelte; ablesbar wird
der in dieser permanenten editorischen lehre zurueckgelegte weg
erst sein, wenn die in arbeit befindlichen schluszbaende 'werke,
briefe und dokumente in chronologisch-integraler edition' und
das modell einer neuen (nicht im verlag stroemfeld / roter stern
erscheinenden) leseausgabe vorliegen werden; insofern 'arbeitete
die gesamte Ausgabe' keineswegs 'teleologisch auf diese Bände
zu'; so musz die in diesem gespraech und andernorts manifeste
rezeptionsverweigerung andere, ich denke, bennenbare und ziemlich
triviale gruende haben; der eine liegt wohl darin, dasz die im
wort 'Status' ausgesprochene erwartung bei jenen keine vorbehaltlos
reine gewesen sein duerfte, deren fruehere arbeiten und angelernte
ueberzeugungen durch das erscheinen der baende in frage gestellt
werden koennten; nach dem desolaten zustand des szientifischen
bewusztseins ueberhaupt konnten diese nur bei miszlingen der
erwarteten arbeit gewinnen und dieses, so scheint mir
bei untersuchung der vorliegenden reaktionen, wird nun nach kraeften
suggeriert; die so sich aeuszernde bewusztseinsnot verdankt sich
aber noch einem zweiten dilemma; dieses haengt, soviel ich sehe,
unmittelbar mit dem 'nicht-status' des herausgebers zusammen;
da dessen arbeit diesen von ihm nicht angeworbenen proselyten
nur als 'editorische Aktion' und als stimulans zu eigenen unternehmungen
interessant sein konnte, durften sie weder das editorische modell
als ganzes noch dessen begriffe uebernehmen; in dem masze nun,
in welchem die dem modell zugrunde liegenden prinzipien elementar
und so auch die darin entwickelten termini allgemeine waren,
muszte der theoretische wie praktische raum zu 'selbstaendigen'
editionen immer enger werden; diese hypothese erklaert mir wenigstens
den nachdruck, mit welchem diese unerwartet aufgetretenen gegner
gegen einfache und leicht zu definierende begriffe opponieren
und sachprobleme weitestgehend beiseite lassen
WG 'Es gibt äußerliche Momente [
]
auf einen Endtext bezogen ist.'; 7 zeilen; verweist auf
das irritierende der kleinschreibung 'bis hin zum Titel 'gesänge''
und die reduzierte, auch hier angewandte zeichensetzung in den
kommentaren des herausgebers; waehrend in frueheren baenden 'einzelne
textgenetische Schritte gezeigt' worden seien, herrsche jetzt
'das Prinzip des kumulativen Textes', durch welchen die edition
'wieder viel stärker auf einen Endtext bezogen' sei
9 ZUR KLEINSCHREIBUNG
das irritierende als kennzeichen des neuen, das sonst vielleicht
unerkannt bliebe, ist beabsichtigt; aus diesem grund, und nicht
allein aus diesem, wurde die kleinschreibung fuer die anmerkungen
des herausgebers gewaehlt; sie erscheint u a schon im iselinschen
lexikon von 1729 und der von hoelderlin benutzten ausgabe von
1742-44; jacob und wilhelm grimm unternahmen diesen versuch zur
urbanisierung des deutschen in ihrem so auch bis ueber die mitte
des 20. jahrhunderts weitergefuehrten woerterbuch; auch
fuehlte ich mich zu dieser hommage an norbert von hellingrath
berechtigt
10 DENN AUS GEMEINEM IST DER MENSCH GEMACHT / UND
DIE GEWOHNHEIT NENNT ER SEINE AMME
so wenig ich weisz nicht von wem einberufene konsistorien zu
irgendwelchen und halbherzigen 'rechtschreibreformen' legitimiert
sind, so sehr haben einzelne das recht, mit jenen noch 'bewohnten
traditionen', mit der gewohnheit zu brechen, die hoelderlin,
nach schillers periphrase, eine 'Amme' nennt, die 'Den Tag gebieret';
innerhalb der edition hat der akt eine diskretere funktion: mit
der kleinschreibung tritt der herausgebertext hinter den des
autors zurueck; er unterscheidet sich vom zitierten autortext
und konkurriert nicht mit diesem; ebenso ist die ersetzung der
satzpunkte durch semikola oder das fehlen eines schluszzeichens
am ende eines abschnitts aeuszeres kennzeichen einer offeneren,
schon damit dem akademischen seminarstil opponierenden diktion;
in diesem punkt vereinigen sich editorische zweckmaeszigkeit,
individuelle freiheit mit der forderung nach jener erhoehten,
bisher verweigerten aufmerksamkeit, ohne die das neue an jenen
beiden baenden tatsaechlich nur irritierend und unannehmbar bleibt
RR 'Was meint [
] Text?'; 1/2 zeile; fragt
nun, was sattler mit 'kumulativem' text meine
WG 'Das ist ein Begriff [
] generell gerechtfertigt.';
5 zeilen; erklaert, dasz hier 'die Texte sich nicht nur ändern,
sondern vor allem anwachsen'; soweit er begriffen habe, werde
damit 'eine Verfügung des Herausgebers, nämlich einen
Mischtext aus verschiedenen Handschriften und Stufen herzustellen,
generell gerechtfertigt'
11 KUMULATIVER TEXT
die referierte passage lautet im zusammenhang: 'der editorische
teil enthält die lineare darstellung von 288 durch sigmaziffern
gezählten und indizes erweiterten segmenten; die chronologische
darstellung entspricht der segmentierten form der nach vorgefaßtem
plan entworfenen gruppe von zwölf editorisch durch die siglen
a und b unterschiedenen doppelgesängen
und tritt an die stelle der werkstufenedition früherer bände;
demgemäß ersetzt auch der mit jedem integrierten segment
anwachsende kumulative text eines gesangs die formal separierten,
das resultat einer linearen darstellung fixierenden textstufen';
kumulativer text als editionsform ist ueberall dort anwendbar,
wo eine in unterscheidbaren abschnitten fortschreitende arbeit
darzustellen ist; von konstituierten texten unterscheidet er
sich dadurch, dasz das zuletzt edierte segment nicht als text,
sondern in linearer textdarstellung, also mit seinen prozessualen
varianten, erscheint
12 UND ES WAR / DAS WACHSTUM VERNEHMLICH
jener editorische begriff erscheint im gesang selbst; freilich
nicht in editorischer terminologie, sondern in der form des vergleichs,
von der es in den 'Anmerkungen zur Antigonä' und
zwar von der 'geheimarbeitenden Seele' des dichters oder der
protagonistin heiszt:
In hohem Bewußtseyn
vergleicht sie sich dann immer mit Gegenständen, die kein
Bewußtseyn haben, aber in ihrem Schiksaal des Bewußtseyns
Formen annehmen.
in diesem sinn verdeutlicht
hoelderlin einen passus aus dem ueberschriftlos gebliebenen gesang
'Der Ister' auszerhalb des manuskripts, am exterritorialen ort
des homburger foliohefts (p 72); statt
wo
in den Tiefen
Ein Jäger gern lustwandelt des Mittags
Und Wachstum hörbar ist
An harzigen Bäumen des Isters
jetzt
wo
in den Tiefen
Einer gern lustwandelt des Mittags. :: Und es war
Das Wachstum vernehmlich
Dem dunklen Blatte, ::
An harzigen Bäumen des Isters
die im karst der
schwaebischen alb fast versickerte und dann, mit jedem zuflusz,
vernehmlicher rauschende donau ist hier metapher des mit jedem
segment der niederschrift anwachsenden gesangs; der bruch im
bild, das dunkle blatt, nur dem schein nach noch dasjenige der
fichte, sondern das braeunliche, auf welchem dieser stromgesang
entstand
GM 'Aber die Unterschiede [
] Oden und
Elegien werden aussortiert.'; 22 zeilen; kommt auf die gattungs-
oder werkbezogene anordnung der vorherigen baende; konstatiert,
dasz sattler mit dem titel 'gesänge' 'aus dem traditionellen
Formenkanon' aussteige und behauptet sodann, dasz derselbe nun
versuche, die texte 'ohne Werk- oder Gattungsbezug als chronologisches
Kontinuum zu edieren'; nach seiner meinung haetten zuvor schon
edierte oden und elegien nochmals in die baende 7/8 uebernommen
werden muessen; da dies nicht der fall sei, habe sich der herausgeber
gezwungen gesehen, 'die veränderte Ausrichtung seines Editionsgeschäftes
nur halbherzig zu realisieren'
13 GATTUNGSSPEZIFISCHE EINTEILUNG
das ungenuegen an der in den ersten editionsplaenen festgelegten
gattungsspezifischen einteilung fuehrte anfang der 90er jahre
zum konzept der chronologisch-integralen edition der werke, briefe
und lebensdokumente in den schluszbanden 19/20; dieses projekt
war uebrigens gegenstand eines bei der deutschen forschungsgemeinschaft
gestellten antrags, die bis dahin die edition der briefe von
der foerderung ausgeschlossen hatte; der antrag wurde negativ
beschieden und der herausgeber von den anonymen gutachtern aufgefordert,
bei seinem urspruenglichen editionsmodell zu bleiben; jene abschlieszende,
eine umfassende kenntnis des gesamtmaterials erfordernde edition
nach dem ordnungsprinzip der zeit waere zu einem frueheren zeitpunkt
weder mir noch den zeitweiligen mitarbeitern wolfram groddeck,
michael franz und michael knaupp moeglich gewesen; insofern folgte
die anlehnung an das aeltere, bis heute uebliche prinzip einer
werk- oder gattungsbezogenen einteilung der baende einer prozessualen
notwendigkeit; dies wohl auch nach dem gesetz, dasz jede individuelle
entwicklung die stadien der allgemeinen durchlaufen musz
14 CHRONOLOGIE UND WERK
in den textbaenden 1-17 wurden die gattungsspezifisch oder nach
werkkomplexen angeordneten entwurfsstufen nach ihrem ersten ansatz
eingereiht und an ihrem genetischen ort von der ersten bis zur
letztueberlieferten stufe dargestellt; das chronologische prinzip
trat also hier hinter die zusammenfassende edition eines werkprozesses
zurueck; so erscheint der16strophige 'Flora'-druck der ode 'Dichterberuf'
von 1802 als letzte stufe einer genese, die 1798 mit der zweistrophigen
epigrammatischen ode 'An unsre großen Dichter' begann;
nachdem die gattung 'Gesänge' im einleitungsband von 1975
schon so, ohne anstosz zu erregen, angekuendigt wurde, stand
auszer frage, dasz auch die baende 7 und 8 noch gattungsspezifisch
und nicht chronologisch-integral ediert werden muszten; die ergaenzung
oder fortsetzung 'frueherer' gesangentwuerfe durch exterritoriale
entwurfssegmente, der nur rekonstruierbare entwurf 'spaeterer'
gesaenge durch jene semantisch und topologisch ungebundenen segmente
verboten jedoch eine unveraenderte uebernahme des in den baenden
1-17 angewandten verfahrens; das auf 215 handschriftseiten und
in einigen drucken vorliegende material war in diesem fall nicht
bezogen auf einzelne gesaenge anzuordnen, sondern, wie deren
nebeneinander sich vollziehende entstehungsprozesse nahelegen,
integral, also als ganzes zu behandeln; damit kommt, unbeschadet
der im anwachsen der kumulativen texte praesenten edition der
einzelwerke, der von hoelderlin so apostrophierte 'Gesang' als
solcher zur geltung; aus der zunehmend segmentierenden schreibweise
des dichters also ergab sich dieses zu misverstaendnis anlasz
gebende uebergewicht chronologischer zusammenhaenge ueber die
werkbezogen semantischen; da also die letzten textbaende 7/8
noch immer dem gattungsspezifischen prinzip der vorigen folgen
und nur ihre interne behandlung geaendert werden muszte, wurde
nichts 'aussortiert'
-
fortsetzung -
|